Im Land der Wölfe

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Viele Menschen haben ihr Wissen über Wölfe aus alten Märchen und Sagen. Was in diesen „Quellen“ steht, man ahnt es, hat mit der wölfischen Realität nichts zu tun. Ralf Bücheters nüchtern-sachlicher, trotzdem spannender und auch für Nicht-Tierfreunde interessanter Dokumentarfilm hält sich streng an die wissenschaftliche Wirklichkeit und wartet daher mit einer ganzen Reihe von Überraschungen auf.

Webseite: https://mindjazz-pictures.de/filme/im-land-der-woelfe/

Deutschland 2023
Buch und Regie: Ralf Bücheler
Darsteller: Gesa Kluth, Ilka Reinhardt, Kenny Kenner, Martin Bauz, Hannes Rudorf, Konstantin Schanze
Kamera: Daniel Schönauer
Tieraufnahmen: Sebastian Koerner
Musik: Cico Beck

Länge: 102 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Start: 02.05.2024

FILMKRITIK:

Die Wölfe waren schon im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa fast vollständig ausgerottet, in Deutschland gab es vor 100 Jahren allerhöchstens mal einzelne, aus Nachbarländern zugewanderte Tiere. Doch mittlerweile hat sich der Mensch umorientiert und sich für eine Koexistenz entschieden – in Europa gehören Wölfe zu den geschützten Arten und leben praktisch wieder in allen deutschen Bundesländern außer in den Stadtstaaten. Die Wölfe sind zurückgekehrt in ihre Heimat, die sich in zweihundert Jahren wolfsloser und vom Menschen bestimmter Existenz stark verändert hat. „Im Land der Wölfe“ führt dem Zuschauer vor Augen, dass diese Tiere mittlerweile mitten unter uns leben, in den Nischen unserer Kulturlandschaft. Sie schlafen in aufgelassenen Tagebauen, nutzen unsere Wege (und Autobahnen!) und der aufmerksame Schlaflose sieht sie schon einmal nachts durch sein Dorf laufen. Diese alten neuen „Nachbarn“ fordern uns Menschen heraus, weil wir oft eine tiefsitzende Angst vor ihnen haben.

Dass Menschen so wenig über Wölfe wissen liegt auch daran, dass sie ihnen grundsätzlich aus dem Weg gehen. Das liegt an ihrem äußerst pragmatischen Jagdverhalten. In ihrem Beuteschema kommen nur Tiere vor, die sie relativ leicht besiegen können. Zu denen gehören wir Menschen nicht, weshalb wir von den Wölfen gemieden werden. Der Mensch ist eher Fresskonkurrenz als Beute. Die generelle Scheu der Wölfe ist natürlich auch eine Herausforderung für einen Dokumentarfilmer, der einen Film über Wölfe dreht. Wölfe sind Wildtiere – von Trainern domestizierte Exemplare, die vor der Kamera machen, was man ihnen sagt, gibt es nicht. Deshalb befasst sich Ralf Büchelers Film „Im Land der Wölfe“ zunächst einmal mit Menschen, die über Wölfe forschen, die „Wolf Monitoring“ betreiben, wie zum Beispiel die Mitarbeiter des Instituts LUPUS und des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung, denen man ausführlich bei ihrer akribischen und trotzdem durchaus spannenden Arbeit zusehen kann.

„Mit der Kamera Teil einer Situation werden, einfach zusehen, nicht fragen, nicht kommentieren – und im Schnitt das „Gesammelte“ zu dichten Szenen zu montieren.“ So beschreibt Ralf Bücheler im Regie-Statement seine Vorgehensweise, die sich, wie er weiter ausführt, nur unwesentlich von der Drehroutine vieler Tierfilmerinnen und Tierfilmer unterscheidet. Bücheler betrachtet sein Sujet auch eher mit wissenschaftlicher Sachlichkeit als mit der Leidenschaft eines Jägers, der mit der Kamera auf die Pirsch geht.

Doch natürlich sind auch Wölfe auf der Leinwand zu sehen. Hier hat Bücheler auf Aufnahmen des Tierfilm-Spezialisten Sebastian Koerner zurückgegriffen, der wirklich beeindruckende Bilder von Wölfen in freier Wildbahn geliefert hat. Aber Vorsicht: Der Film beschönigt nichts, er zeigt die raue Wirklichkeit, und manche Aufnahmen könnten zartbesaiteten Naturen zu schaffen machen: Sie sollten darauf gefasst sein, dass unter anderem zu sehen ist, wie ein Wolf ein Kalb reißt oder wie ein Wolf obduziert wird.

Der Film wird aber schlussendlich auch zum politischen Lehrstück, wenn er zeigt, wie Politiker der verschiedenen Parteien mit dem Thema Wolf umgehen. Doch Bücheler wertet nicht, und er versucht weder, die Tiere zu vermenschlichen noch ihr Verhalten zu erklären. „Im Land der Wölfe“ ist eine tiefgründige, durchaus beeindruckende Dokumentation, die den Zuschauer zum Nachdenken über Biodiversität und Artenschutz, aber vor allem über das Zusammenleben von Mensch und Natur anregt.

 

Gaby Sikorski