Sie haben die Musik zu mehr als 250 Filmen verfasst: Komponist Michael Jary und Texter Bruno Balz machten Zarah Leander zum Weltstar mit Liedern wie „Davon geht die Welt nicht unter“ oder „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“. Als schwuler Mann wird Balz von den Nazis verhaftet. Trickreich rettet ihn Jary vor dem KZ. Die Karriere des kreativen Duos geht in den Wirtschaftswunder-Jahren heiter weiter. Auch die „Mama“ von Heintje stammt aus der Feder von Balz. So kenntnisreich wie kurzweilig präsentiert die Doku dieses weithin unbekannte Kapitel der deutschen Filmgeschichte. Klug illustriert mit einordnenden Kommentaren von Fachleuten, mit Originalaufnahmen der Künstler sowie einem Füllhorn an Filmausschnitten.
Webseite: https://salzgeber.de/imschatten
Schweiz / Deutschland 2024
Regie: Martin Witz
Darsteller: Götz Alsmann, Manfred Herzer, Micaela Jary, Claudio Maniscalco, Rainer Rother, Klaudia Wick, Bibi Johns
Filmlänge: 90 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 6. Februar 2025
FILMKRITIK:
„Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ klimpert Götz Alsmann gelassen zum Vorspann. Der Musiker und „Zimmer frei!“-Moderator wird als kompetenter Mann am Klavier mit musikalischen Beispielen immer wieder die Kunst des Komponisten Michael Jary erklären. Wie er etwa den von den Nazis so verpönten Swing in seine Stücke einbaute, die von den offiziellen Wochenschauen dann als wirkungsvolle Untermalung gerne verwendet wurden. Unterschwellig subversiv lässt sich auch sein Texterkollege Bruno Balz interpretieren: „Kann den Liebe Sünde sein?“ schreibt er Zarah Leander auf den Leib - während er selbst als Homosexueller von den Nazis verfolgt wird. 1936 wird er wegen seiner sexuellen Orientierung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Man empfiehlt eine Heirat, die Cousine springt für die Schein-Ehe ein. Als er Jahre später im Gestapo-Gefängnis landet, kommt er nur durch einen cleveren Coup seines Komponisten-Kollegen frei: Jary behauptet, ohne seinen Texter könne er keine Lieder mehr liefern. „Dann holen Sie ihn raus!“ soll Goebbels darauf höchstpersönlich gesagt haben.
Mit den Liedtexten zur Verwechslungskomödie „Viktor und Viktoria“ gelingt Bruno Balz 1933 der Durchbruch. „Zwischen hochintelligent und klischeebeladen“ bewertet ein Experte die Qualität. Michael Jary landet fünf Jahre später mit „Roter Mond“ den ersten großen Hit. Fortan arbeitet das ungleiche Duo zusammen, die Karriere von „Deutschlands Traumpaar für Schlager und Film“ beginnt und wird mehr als vier Jahrzehnte dauern. „Sie haben sich gesucht und gefunden“, beschreibt die Tochter von Jary das Verhältnis der kreativen Kollegen. Für die UFA werden die beiden zu sicheren Hit-Lieferanten. Für Heinz Rühmann schreiben sie „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ aus „Paradies der Junggesellen“. Noch populärer geraten die Lieder für
Zarah Leander, die bis heute zeitlos sind. „Mein Leben für die Liebe“ aus „Die große Liebe“. Und natürlich „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ und „Davon geht die Welt nicht unter“ aus „Die große Liebe“ von 1942. Durchhalteschlager der NS-Propaganda? „Man konnte es auslegen, wie man wollte. Man kann sagen, von den Bomben geht die Welt nicht unter für uns, oder von den Bösartigkeiten der Nazis“, erläutert Texter Balz. Als Hitlers Hitschreiber wurde er nach Kriegsende von den Alliierten angeklagt. Weil er als Homosexueller selbst Opfer des NS-Regimes war, folgte schnell der Freispruch.
Nach Kriegsende geht es heiter weiter mit der gemeinsamen Komponisten-Karriere für Revue-Filme. Jary genießt nun das Licht der Öffentlichkeit. Ob mit Auftritten bei Robert Lembkes „Was bin ich?“ oder im Schlagerfilm „Große Star-Parade“. Der introvertierte Balz bleibt lieber im Hintergrund. Mit „Mama“ für Heintje gelingt 1968 nochmals ein Super-Erfolg. Er kann ein entspanntes Leben führen, im Nachlass finden sich Unterlagen über vier Millionen Mark an Tantiemen.
„Es ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Künstlerfreundschaft inmitten sich dramatisch verändernder politischer und gesellschaftlicher Bedingungen – zwischen Anpassung und Widerstand, und immer auch zwischen Kunst und Kommerz. Für diese großen Fragen stehen das Leben und die Arbeit der beiden so ungleichen Männer exemplarisch“, kommentiert der Schweizer Regisseur Martin Witz sein Konzept. Mit Aussagen von Musikern, Filmwissenschaftlern und Familienangehörigen sorgt er für fachkundige Einordnungen dieses popkulturellen Phänomens und bietet zugleich allerlei Anekdotisches. Durch Dokumentaraufnahmen von Jary und Balz wird die Zeitreise durch vier Jahrzehnte kurzweilig illustriert. Zum visuellen Trumpf gerät natürlich das Füllhorn an zahlreichen Filmausschnitte in erstklassiger Qualität.
Die weithin unbekannten Hintergründe hinter Hitlers Hitfabrikanten klingen so abenteuerlich, dass sie durchaus für einen Spielfilm taugen könnten.
Dieter Oßwald