In der Welt habt ihr Angst

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Anspruch und Wirklichkeit, sie liegen in Hans W. Geißendörfers Drama um ein auf Drogenentzug lebendes Liebespaar weit auseinander. Statt des Neustarts in Neuseeland schickt der bald 70-jährige Vater der „Lindenstraße“ vor allem Hauptdarstellerin Anna Maria Mühe durch einen Parcours, in dem eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung, eine kaputte Ehegeschichte wie auch eine seltsame Form von verzweifelter Liebe zu überwinden sind. Nicht immer aber lässt sich den Ereignissen in diesem überambitionierten Streifen uneingeschränkt folgen.

Webseite: www.inderwelthabtihrangst.de

Deutschland 2010
Regie: Hans W. Geißendörfer
Darsteller: Anna Maria Mühe, Max von Thun, Axel Prahl, Hanns Zischler, Kirsten Block, Johannes Allmayer, Roland Eugen
110 Minuten
Verleih: Movienet
Kinostart: 3.3.2011
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Mit seinem Filmtitel „In der Welt habt ihr Angst“ bezieht sich Hans W. Geißendörfer auf die Bach-Kantate Nr. 48 – und verweist damit auf das gottbehütete pastorale, teils strenge, teils demütige Umfeld, in dem die von Anna Maria Mühe („Novemberkind“) gespielte Studentin Eva aufgewachsen ist. Geißendörfer hat seine Geschichte daher auch in Bamberg angesiedelt, wo einem Kruzifixe auf Schritt und Tritt begegnen und die pittoreske Idylle den Anschein von heiler Welt suggeriert.

Dem aber ist nicht so, wie schon die in exzellenten Schwarzweißbildern festgehaltene Einstiegssequenz zeigt. Eva und ihr Freund Jo (Max von Thun) zelebrieren darin eine weitere von sicher schon so vielen Heroinspritzen, jene hier aber mit dem Versprechen, bald schon in Neuseeland die Finger von diesem Teufelszeug zu lassen. Das Flugticket haben sie schon, die Rucksäcke sind gepackt, nur das Taschengeld – ein paar Tausend Euro – fehlen noch. Doch weder Mitbewohner Tom (Johannes Allmayer aus „Vincent will Meer“), ein fast schon krankhafter Verehrer Evas, noch ihr Vater (Hanns Zischler) wollen in die Börse greifen, befürchten sie doch, dass die Kohle für weitere Nadelstiche drauf gehen könnte. Beim Versuch, die Reisekasse bei einem Antiquar zu füllen, geht jedoch einiges schief.

So dilettantisch der „Überfall“ durch das nervöse Paar auch ausgeführt ist, so konstruiert wirkt, was nun folgt. Jo wird gefangen genommen und landet im Knast, Eva findet ein Versteck und verschanzt sich mit dem Studienrat Paul (Axel Prahl) als Geisel in dessen Altstadtwohnung. Später kommt noch dessen Ehefrau dazu. Die Dialoge in dieser Situation sind von einer unfreiwilligen Komik bestimmt, die Spießbürgerlichkeit der vor der Kulisse einer gescheiterten Ehe ausgebreiteten Szenen schlägt hier geradezu groteske Kapriolen – mittendrin Axel Prahl, der seine Rolle etwas arg übertrieben anlegt. Nicht ganz glaubhaft ist weiterhin, dass sich die nunmehr auf kaltem Entzug befindenden Drogensüchtigen ihren Entgiftungskampf ganz unterschiedlich durchleben und insbesondere bei Eva so getan wird, als leide sie nur dann, wenn es nicht gerade weitere Schritte der Flucht zu planen gälte.

Geißendörfer verliert durch das Fluchtdrama sein eigentliches Thema einer großen Liebe völlig aus den Augen. Ausgerechnet jene Momente, in denen sich die aufgrund der Ereignisse zwischendurch getrennt ihrem Schicksal überlassenen Liebenden gedanklich nahe fühlen, vergeigt der erfahrene Regisseur durch einen Filmschnitt, musikalische Übergänge und Parallelmontagen, die so tun, als wäre Übersinnlichkeit im Spiel. Statt eleganter Überleitung wirkt der Film auch in diesen Momenten künstlich und konstruiert. Unglaubhaft und naiv sind zudem weitere Szenen, etwa beim Ausbruch aus einer Psychiatrie sowie der Komplizenschaft des Verehrers Tom bei der weiteren Flucht.

Seinen Film hat Hans W. Geißendörfer explizit für Anna Maria Mühe geschrieben. Vor der Kamera mag sie seinen Vorstellungen, Anforderungen und emotionalen Veränderungen sicher auch gerecht geworden sein. Aufgrund der Konstruiertheit der Geschichte aber entsteht der Eindruck, dass Geißendörfer über der Konzentration auf seine Hauptdarstellerin die Glaubwürdigkeit und Stringenz seiner Liebesgeschichte aus den Augen verloren hat. Schade eigentlich.

Thomas Volkmann

Bamberg in unseren Tagen. Eva, die Tochter eines Pastors und Chorleiters, ist vom rechten Weg abgekommen. Warum? Weil sie Jo liebt, der heroinsüchtig ist. Eva hat deshalb ebenfalls zu der Droge gegriffen. Jetzt ist das Verhältnis zum Vater und auch zu ihrem früheren Kumpel Tom kaputt.

Als sie spürt, dass sie schwanger ist, will sie immerhin die Hände vom Rauschgift lassen. Selbst Jo ist dazu bereit. Die beiden wollen mit ihrem Kind in Neuseeland ein neues Leben beginnen. Doch das Geld zum Flug fehlt. Eva und Jo haben keine bessere Idee, als einen ihnen bekannten Antiquar berauben zu wollen. Die Sache geht schief, umso mehr als Eva dabei dem Mann den Schädel einschlägt. Immerhin kann sie fliehen, Jo aber kommt in den Knast.

Die junge Frau gerät auf der Flucht in die Wohnung des Studienrates Paul Krämer, den sie mit ihrer Waffe überwältigt und fesselt. Doch in den folgenden Stunden bahnt sich zwischen den beiden sogar so etwas wie Nähe an.

Jo ist im Gefängnis auf kaltem Entzug. Er macht eine schmerzvolle Zeit durch.

Krämers Frau Gisela, ihrem Mann untreu und mit ihm zerstritten, kehrt nach einer gewissen Zeit dennoch zurück, wird zunächst von Eva ebenfalls festgehalten, kann sich dann aber befreien und die Polizei verständigen. Die Geschehnisse werden immer dramatischer.

Und doch könnte aus Jos und Evas Plänen noch etwas werden, denn Paul Krämer verhilft ihnen zur Flucht.

Ein handfestes Drama, in dem es um die verletzte Liebe zwischen Vater und Tochter, die Leidenschaft zwischen Eva und Jo sowie die hoch gefährdete Ehe zwischen Paul und Gisela geht. Eine ganze Reihe von Handlungsteilen auch psychologischer Natur wie etwa die düster gezeigte Sucht der beiden jungen Menschen, der linkische Raubversuch, der kalte Entzug Jos im Gefängnis, Evas Verhalten nach der Trennung und ihr sich wandelndes Verhältnis zu Paul sind gut getroffen und realisiert. Mit dem wirklichkeitsfremden Fluchtpassus allerdings fällt die Qualität des Films stark ab.

Sehr gut steht es um die Schauspieler. Anna Maria Mühe stellt den Umweg dieser jungen Frau eindrucksstark dar. Axel Prahl meistert – wie immer – die Rolle des Paul Krämer sehr gut. „Cool“ muss man heute sagen. Max von Thun als Jo hat starke Entzugsszenen. Auch mit dabei Hanns Zischler als verzweifelter aber doch entschlossener Vater und Dirigent schöner Musikpassagen. Der Titel des Films entstammt übrigens der Bass-Arie aus einer Bach-Kantate, in der es heißt: „In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt erlöst.“

Dass Hans W. Geißendörfer ein souveräner Schreiber und Regisseur ist, merkt man lange Zeit – leider hält er gegen Schluss nicht ganz durch.

Thomas Engel