In My Room

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Letztes Jahr feierte Valeska Grisebachs „Western“ in der Cannes-Nebenreihe Un Certain Regard Premiere, in diesem Jahr war dort Ulrich Koehlers „In My Room“ zu sehen. Vielleicht ein gutes Omen für einen Film, der im Ansatz dystopische Genre-Muster benutzt, damit jedoch eine klassische Generationengeschichte erzählt.

Webseite: www.pandorafilm.de

Deutschland 2018
Regie & Buch: Ulrich Koehler
Darsteller: Hans Löw, Elena Radonicich, Michael Wittenborn, Ruth Bickelhaupt, Emma Bading, Katharina Linder
Länge: 120 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: Herbst 2018

FILMKRITIK:

Armin (Hans Löw) ist Mitte 30, lebt in Berlin, ist Freiberufler, ungebunden und in jeder Hinsicht auf der Suche. Der Umgang mit anderen fällt ihm schwer, sowohl mit seinem Chef, als auch mit einem potentiellen One Night Stand kann er kaum kommunizieren, familiäre Bindungen gibt es ebenfalls nur sporadisch. In der deutschen Provinz leben seine Eltern getrennt, sein Vater hat eine neue Lebensgefährtin und damit mehr Sex als der Sohn, der sich eigentlich so frei fühlt.
 
Nur zu seiner Großmutter (Ruth Bickelhaupt) hat Armin eine engere Bindung, um ihr Sterben zu begleiten, kehrt er nach Hause zurück, in seine alte Heimat, wo sich wenig geändert hat. Am Tag nach dem Tod der Großmutter wacht Armin auf und ist allein auf der Welt. Die Menschen scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben, die Tiere rennen über Straßen, die Natur erobert sich bald den Raum zurück, den der Mensch ihr genommen hat. Ziellos streift Armin ein wenig durch die Gegend, doch dann wird er sesshaft, in einem Ferienhaus der Familie, das er mit Generator betreibt und zu seinem Quartier ausbaut.
 
Wieder ist er allein, konzentriert sich ganz auf das Überleben, doch dann läuft ihm eines Tages eine Art Eva in Gestalt von Kirsi (Elena Radonicich) über den Weg. Für einige Zeit bildet das Paar eine Gemeinschaft, scheint sich eine für Armin bislang ungewohnte Sesshaftigkeit anzubahnen, doch dieser Zustand ist nicht von Dauer.
 
Dass Ulrich Koehler, Regisseur von „Und Montag kommen die Fenster“ und „Schlafkrankheit“ mit „In My Room“ keinen richtigen Genrefilm gedreht hat, überrascht wenig. Zwar bedient er sich mit dem plötzlichen Verschwinden eines Großteil der Menschheit eines typischen Musters des fantastischen Films, platziert einen, später zwei Menschen allein in den Ruinen der Zivilisation, doch wo sich ein Genrefilm bald für die Ursachen der Katastrophe interessieren würde, nach außen, auf das große Ganze blicken würde, richtet Koehler den Blick nach innen.
 
Das Portrait einer Generation, zu der sich der inzwischen 48jaehrige Koehler wohl nicht mehr zählt, der er aber einst angehörte: Aus bürgerlichem Haus, ohne sozialen Druck aufgewachsen, ohne die Notwendigkeit, sich schnell zu entscheiden, was man im Leben machen soll und will. Besonders in Berlin gibt es zahllose solche Menschen, solche Männer, die von Job zu Job, von Liebschaft zu Liebschaft wechseln, sich viele Türen offenhalten und dabei vielleicht doch nicht so frei sind, wie sie zu sein glauben.
 
Das Konstrukt einer Katastrophe, das plötzliche auf sich selbst gestellt sein nutzt Koehler nun also, um die Psyche seiner Hauptfigur Armin auszuloten. Schon als er noch unter Menschen lebte, hatte es sich dieser in seinem Alleinsein gut eingerichtet, dementsprechend leicht fällt es ihm nun, komplett allein zu sein. Bis, ja, bis ihm eine Frau über den Weg läuft, mit der die Möglichkeit einer Familie, einer Art von Sesshaftigkeit im Raum steht.
 
Dass sich die Figuren in diesem Konstrukt nicht immer glaubwürdig verhalten, manche Handlung weniger organisch erscheint als dem Willen des Autors unterworfen, macht „In My Room“ zu dem was er ist: Kein Genrefilm, sondern ein deutscher Film. Kein emotionaler, sondern ein intellektueller Film, weniger mit Herz, als mit Hirn gefilmt. Die formale Strenge der Inszenierung beeindruckt, sorgt aber auch dafür, dass „In My Room“ mehr einer Versuchsanordnung gleicht, als einem Film über leibhaftige Menschen.
 
Michael Meyns