Irgendwann werden wir uns alles erzählen

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Letztes Jahr war sie in Cannes zu Gast, ihren neuen Film zeigt Emily Atef im Wettbewerb der Berlinale: „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ führt wie so viele deutsche Filme jüngerer Zeit in die Phase kurz nach der Wiedervereinigung. Diese besondere Ära der deutschen Geschichte bildet den Background für eine Coming-of-Age-Geschichte, für eine klassische Amour Fou.

Deutschland 2022
Regie: Emily Atef
Buch: Emily Atef, nach dem Roman von Daniela Krien
Darsteller: Marlene Burow, Felix Kramer, Cedric Eich, Silke Bodenbender, Florian Panzner, Jördis Triebel, Christian Erdmann

Länge: 129 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: 13. April

FILMKRITIK:

Der Sommer nach dem Mauerfall. Irgendwo an der deutsch-deutschen Grenze, ein kleines Dorf in der nun ehemaligen DDR, einsame Höfe, wilde, unberührte Landschaften, die bald aufblühen sollen, so zumindest das Versprechen. Hier wächst die 18jährige Maria (Marlene Burow) auf, nicht bei ihrer arbeitslos gewordenen Mutter Hannah (Jördis Triebel), sondern auf dem Brendel-Hof.

Mit Johannes (Cedric Eich), dem Sohn der Familie, ist sie zusammen, für die Eltern ist sie wie eine Tochter, auch wenn sie sich lieber mit einem Buch zurückzieht, statt auf dem Hof zu helfen. Die Zukunft ist ungewiss, viele Menschen in der Region haben durch die Wende ihre Arbeit verloren, andererseits weht der Wind der Freiheit die Leben durcheinander. Johannes hat künstlerische Ambitionen, will Fotografie studieren, doch in seinen naiven Träumen wirkt er kindlich.

Ganz anders als der 40jährigen Henner (Felix Kramer), der einen Nachbarhof bewohnt, einsam und allein, nur mit ein paar Hunden. Aus dem Nichts beginnt Maria eine Affäre mit Henner, lässt sich von dem älteren Mann nehmen, schleicht sich zu ihm, wann immer sie kann. Hin und hergerissen ist Maria, faszinierend vom einsamen Wolf Henner, doch der trägt mehr emotionalen Ballast mit sich herum, als Maria ahnt.

2011 erschien Daniela Kriens Roman und reihte sich ein in ein wachsendes Genre der deutschen Literatur: Der Wenderoman von Thomas Brussig über Uwe Tellkamp bis Lutz Seiler, der oft auch als Vorlage für Filme diente, in denen die Wehen der Wiedervereinigung, gerne mit einer Coming-of-Age-Geschichte verknüpft wurden.

In ihrem Roman ließ Daniela Kriens eine 16jährige auf einen Mann treffen, der ihr Vater sein könnte, für die Verfilmung hat Emily Atef die Figur volljährig gemacht, vielleicht um die problematischen Aspekt dieser Beziehung etwas abzuschwächen. Doch auch so mutet die Art und Weise des Kennenlernens von Maria und Henner befremdlich an, kaum Worte werden gewechselt, mehr als Blicke werden nicht ausgetauscht, die ausreichen sollen, um zu zeigen, warum eine 18jährige sich voll und ganz einem 40jährigen hingibt.

Arg gewollt mutet dieses Konstrukt an, wie der Versuch, eine etwa im französischen Kino so beliebte Amour Fou in die deutsche Provinz zu verlegen. Deutlich überzeugender sind Momente, in denen die spezielle Stimmung in den Monaten nach dem Mauerfall angedeutet wird. Die Euphorie ist längst vorbei, die Realität hält Einzug, die gerade für entwicklungsschwache Regionen vor allem Arbeitslosigkeit und Probleme mit sich brachte. Die D-Mark ist da, zur Freude der Menschen, aber wie man sich im Kapitalismus und all seinen Fallstricken bewegt, dass muss man erst noch lernen.

Inhaltlich ambitioniert ist die Verknüpfung von Nachwendeerzählung und Coming-of-Age-Drama, stilistisch überzeugend, wie man es von Emily Atef inzwischen gewöhnt ist. Doch erzählerisch zerfällt „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ immer wieder in Einzelmomente, bleibt gerade die zentrale Amour Fou zu sehr Behauptung, um rundum zu überzeugen.

 

Michael Meyns