Iuventa

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Der Sommer hat begonnen und damit auch die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer. In den deutschen Nachrichten ist das Thema nicht mehr so präsent wie noch vor zwei, drei Jahren, doch aktuell ist es und die weitreichenden Fragen um das pro und contra noch immer, wie Michele Cinque in seiner Dokumentation “Iuventa“ zeigt, die um das gleichnamige Boot kreist, aber universelle Fragen aufwirft.

Webseite: www.iuventa-film.de

Dokumentation
Italien, Deutschland 2018
Regie: Michele Cinque
Länge: 98 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 10. Juli 2018

FILMKRITIK:

Im Jahr 2015 hatte der damals 19jährige Jakob Schön genug davon, Bildern von im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen zu sehen, die von Schleppern auf oft baufälligen, ganz sicher nicht hochseetauglichen Schiffen von Libyen nach Europa gebracht werden sollten. Er gründete die Nichtregierungsorganisation „Jugend Rettet“, die begann, Spenden zu sammeln und ein Boot kaufte, das auf den Namen Iuventa getauft wurde. Ab dem Frühsommer 2016 war die Iuventa und ihre Besatzung, die zum Teil aus professionellen Seemännern und Ärzten, vor allem aber aus jungen Enthusiasten bestand, im südlichen Mittelmeer unterwegs, unweit der Küste Libyens, in internationalen Gewässern. Zusammen mit anderen oft privaten, aber auch manch staatlichen Akteuren, wartete die Iuventa nun auf Flüchtlingsboote, die sie auf hoher See aufnahm, notdürftig versorgte und in die Auffanglager auf vorgelagerten italienischen Inseln wie Lampedusa brachte.
 
Mit dabei: Der italienische Regisseur Michele Cinque, der von dem Gedanken der selbstlosen Hilfe, die Jugend Rettet antrieb, begeistert war und die Ereignisse mit der Kamera beobachtet. Freimütig deutet der Regisseur zu Beginn seines Films seine große Sympathie für das Vorgehen von Jakob Schön und seiner Mitstreiter an, was seiner Dokumentation „Iuventa“ zunächst einen naiven Anstrich verleiht.
 
Von purem Enthusiasmus geprägt wirkt die Crew zu Beginn, hundertprozentig davon überzeugt, hier das Richtige zu tun, nämlich Leben zu retten. Und das tun sie ohne Frage: Schon bei ihrem ersten Einsatz stoßen sie auf mehrere Schlauchboote, vollgepfercht mit Flüchtlingen, im Laufe des Sommers kommen hunderte, ja, tausende dazu, die von der Iuventa aufgenommen werden. Ob sie allerdings aus Seenot gerettet wurden und damit vor dem sicheren Tod befreit wurden, ist eine andere, eine abstraktere Frage, die schließlich auch die Gerichte beschäftigte.
 
Und bald auch Cinques Film, der nach gut 40 Minuten das erste Mal nach das Boot verlässt und nach Berlin schneidet. Nach dem aufreibenden ersten Sommer ziehen dort Schön und seine Mitstreiter Revue, fragen sich, ob und wenn ja was sie bewirkt haben, vor allem auch in Hinblick auf das zweite Ziel: Mit dem Einsatz privater Rettungsboote Druck auf die politischen Institutionen aufzubauen und diese zu zwingen, die Flüchtlingsthematik anzugehen.
 
Doch so einfach funktioniert die Welt und schon gar die Politik nicht, wie immer deutlicher wird. Die Frage, ob die privaten Retter durch ihre Präsenz den Schleppern nicht einen Teil der Arbeit abnehmen und damit unfreiwillig zum Teil der ausbeuterischen Strukturen werden kommt dabei ebenso auf wie die noch viel wichtigere Frage, was denn mit all den Flüchtlingen passiert, die es nach Europa schaffen. Wenn da Schön und seine Freunde von ihnen gerettete Flüchtlinge in Lagern in Italien besuchen, wo diese schon seit Monaten darauf warten, dass es weitergeht, dass irgendwas passiert, offenbart sich die ganze Dimension der Thematik.
 
Wie seine Protagonisten selbst scheint auch Cinque während der Arbeit an seinem Film einen Wandel erlebt zu haben: Vom puren Enthusiasmus, von der Überzeugung, das Richtige zu tun, zur Erkenntnis, dass die Probleme nicht so einfach zu lösen sind. Diese Nachdenklichkeit macht die Stärke von „Iuventa“ aus, der die Arbeit der Helfer nicht unreflektiert bejubelt, sondern sie würdigt, dabei aber das große Ganze nicht aus den Augen verliert.
 
Michael Meyns