Ivo

Zum Vergrößern klicken

Täglich mit dem Tod konfrontiert sein macht etwas mit einem Menschen, nur was? Um diese Frage kreist Eva Trobischs Drama „Ivo“, der seine Hauptfigur, eine Palliativpflegerin 100 Minuten beobachtet und ihr doch nicht nahe kommt. Zum Teil ist das eine bewusste Distanziertheit, die viele Interpretationsmöglichkeiten offenlässt, zum Teil aber auch die Schwäche eines ambitionierten, aber ein wenig zu offenen, unbestimmten Films.

Deutschland 2024
Regie & Buch: Eva Trobisch
Darsteller: Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur, Lilli Lacher, Johann Campean, Lea Gerstenkorn

Länge: 103 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart: 20. Juni 2024

FILMKRITIK:

Zwischen Krankenzimmern und Auto spielt sich das Leben der Palliativpflegerin Ivo (Minna Wündrich) ab, zur Ruhe findet sie selten und der Tod ist ständiger Begleiter. Bei ihren Patienten schaut sie nach dem Rechten, stellt die Dosierung der Medikamente neu ein, versucht, ein offenes Ohr zu haben, beobachtet auch das oft schwierige Verhältnis zwischen den Sterbenskranken und deren Angehörigen.

Zu einer Patientin hat sie ein besonders enges Verhältnis, denn sie waren schon befreundet, bevor Solveigh (Pia Hierzegger) krank wurde. Zusätzlich verkompliziert wird das Verhältnis dadurch, dass Ivo gelegentlich Solveighs Mann Franz (Lukas Turtur) zum Sex trifft, kurze Momente der Flucht für Beide.

Immer mehr kommt die Frage der Sterbehilfe auf, die von Ivos Chef (gespielt von einem echten Palliativarzt) aus offensichtlichen Gründen quasi unter der Hand angeboten wird. Für Ivo stellt sich die Frage, wie sehr sie ihrer Freundin zu helfen bereit ist.

In ihrem ersten Spielfilm „Alles ist gut“ erzählte Eva Trobisch von einer Frau, die schweigend mit dem Trauma einer Vergewaltigung umzugehen versucht. Auch „Ivo“ erzählt von einer Frau, in einer extremen Situation und beschreibt den Versuch damit umzugehen, einerseits ständig vom Tod umgeben zu sein, ihn andererseits aber nicht zu nah an sich heranlassen zu dürfen. Doch wie soll das gehen, einerseits empathisch mit den sterbenden, zum Teil leidenden Patienten umzugehen, andererseits auch keine allzu große Nähe entstehen zu lassen?

Mit dieser Versuchsanordnung arbeitet Eva Trobisch und hat ihren Film auch wie ein formales Experiment aufgebaut: Fast dokumentarisch muten viele Szenen an, wenn die Handkamera beobachtet, wie Ivo von einem Patienten zum nächsten fährt, kaum Pausen zwischen den Terminen, am Abend zu Hause bei der Tochter, die mehr mit dem Handy beschäftigt ist, als in der Realität zu leben. Betont distanziert umkreist Trobisch ihre Hauptfigur, bleibt wage, was die Verhältnisse der Figuren angeht, legt Spuren, macht Verweise und Andeutungen.

Eine konkrete Persönlichkeit entwickelt Ivo dadurch nur sehr langsam, Hintergründe bleiben offen, das Verhältnis zu Solveigh und Franz etwa, man mag sich dieses oder jenes dazudenken und interpretieren, doch da die Figuren so unbestimmt bleiben, bleiben auch die Emotionen der Zuschauer auf Distanz.

Im Gegensatz zu einem vergleichbaren Film wie Jessica Krummachers „Zum Tod meiner Mutter“, aber auch einem aktuellen Film wie Matthias Glasners „Sterben“ umkreist Eva Trobisch das Thema Sterben, Palliativmedizin, Sterbehilfe- und begleitung auf so abstrakte und distanzierte Weise, dass die Figuren kaum zum Leben erwachen. Ein ambitionierter Film ist „Ivo“, aber am Ende auch etwas zu distanziert und kalt, um wirklich nahe zu gehen.

 

Michael Meyns