J. Edgar

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Viele Amerikaner haben mehr als ihr halbes Leben mit J. Edgar Hoover verbracht. Fast 50 Jahre schützte er als fast allmächtiger FBI-Chef die USA vor tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen. Ein knorriger Mann ganz nach dem Geschmack von Clint Eastwood, der von Hoover in „J. Edgar“ ein eindringliches Porträt zeichnet. Leonardo Di Caprio schwingt sich dabei zu einer erstaunlichen Leistung auf. Der Schauspiel-Star mit dem ewig jugendlichen Charme überrascht in seiner herausfordernden Rolle als verbohrter alter Mann, der auf sein Leben zurückblickt und an seiner Legende strickt.

Webseite: www.j-edgar.de

USA 2011
Regie: Clint Eastwood
Buch: Dustin Lance Black
Darsteller: Leonardo Di Caprio, Armie Hammer, Naomi Watts, Judi Dench
Filmlänge: 136 Minuten
Verleih: Warner Bros
Kinostart: 19. Januar 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Was J. Edgar Hoover in seiner jahrzehntelangen Karriere zuwege brachte, ist hinlänglich bekannt. Dustin Lance Black, der das Drehbuch schrieb, und Regisseur Clint Eastwood konzentrieren sich auf die unbekannten Seiten des ebenso erfolgreichen wie gefürchteten Direktors der US-amerikanischen Bundespolizei, der die einst unbedeutende Behörde zu einem mächtigen Instrument der Verbrechensbekämpfung ausbaute. Das unterscheidet „J. Edgar“ von anderen biografischen Filmen, die im Wesentlichen die wichtigen Lebensstationen der Person zu einer Geschichte verknüpfen. Solche Wegmarken schreitet Eastwood auch ab. Die Rahmenhandlung seines Films bilden die Erinnerungen, die der alternde Hoover in seinem Büro diktiert. So werden die Fixpunkte seiner Arbeit ans Licht geholt und miteinander verwoben – von der Jagd auf Bomben legende Kommunisten in den 20er Jahren bis zum Kampf gegen die Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King in den 60er Jahren. Nicht zu vergessen die bahnbrechenden Neuerungen, die Hoover in der Ermittlungsarbeit und Beweissicherung einführte.

Doch die Frage im Hintergrund lautet stets: Wer war dieser Mann? Eastwood nennt sein Porträt „eine Charakterstudie“ und stellt dementsprechend die Beziehungen Hoovers zu seinem persönlichen Umfeld, seinen Mitarbeitern und Vorgesetzten in den Vordergrund. Das ebenso Reizvolle wie Schwierige dabei ist, dass man darüber wenig weiß und auch die umfangreichen Recherchen des Drehbuchautors kaum Neues zutage fördern, weshalb sich der Film, wenn auch dezent, immer mal im Spekulativen bewegt. Drei Menschen standen Hoover zeitlebens nahe: seine vergötterte und dominante Mutter, sein engster Mitarbeiter Clyde Tolson und seine Sekretärin Helen Gandy. Hoover war vermutlich homosexuell und Tolson in einer nicht recht ausgelebten Weise sein Partner. Es ist das Herzstück des Films, wie die beiden sich mit allerhöchster Zurückhaltung ein Leben lang umschwirren, und es sind die stärksten Szenen Leonardo di Caprios. Für kurze Momente öffnet sich der bis zum Kragen verschlossene Mann, den er verkörpert, wenn auch nur einen Spalt breit. Armie Hammer als Tolson und mehr noch Naomi Watts als Sekretärin und Judi Dench, die Hoovers Mutter spielt, kommt dabei die etwas undankbare Rolle eines Spiegels der Hauptfigur zu. Entscheidend ist nicht, was sie tun, sondern wie Hoover reagiert. Er allein steht im Licht, alle anderen bewegen sich im Halbschatten.

Gerüchte über Hoovers Homosexualität kursierten schon lange. Doch seine nicht wenigen Gegner waren nicht imstande, diesen Umstand für sich zu nutzen. Das lag vor allem daran, dass der FBI-Chef früh begann, Dossiers über die Verfehlungen hochrangiger Persönlichkeiten anzulegen und sie damit unter Druck zu setzen – sogar die Kennedys. So machte er sich unangreifbar. Solche unappetlichen Geschichten spart Eastwood nicht aus. Auch Hoovers Eitelkeit, seinen Machtwillen und seine lebenslange Paranoia vor der kommunistischen Bedrohung führt er immer wieder vor. Das hat eine gewisse Statik im Handlungsverlauf zur Folge. Man schaut einem Menschen zu, der sich nicht verändert, sondern um seine Neurosen kreist und stets darauf bedacht ist, die Fassade zu wahren. Noch im hohen Alter, man glaubt es kaum, wirft er seinem Freund Tolson vor, nicht loyal zu sein. Eastwood bewertet das nicht. Er zeigt einen Mann, der unbeirrt seinen Weg geht, und er weiß, dass er nicht alle Geheimnisse J. Edgar Hoovers lüften kann.

Volker Mazassek

Persönlicher Ehrgeiz, angestachelt durch seine Mutter, und Erfolg waren Edgar Hoovers Antriebskräfte. Er bestimmte die amerikanische Politik im letzten Jahrhundert maßgeblich mit. In den zwanziger Jahren, kurz nach der Revolution in Russland, legte er sich mit den Kommunisten an, die auch in den Vereinigten Staaten wirksam werden wollten und ihm als Bedrohung vorkamen. Dann kamen vor allem die Mafia und Verbrecher wie John Dillinger an die Reihe. Er gründete das FBI – die Erfolge stellten sich rasch ein. Der – oft eigenwillig und sogar skrupellos herbeigeführte - Schutz seines Landes war ihm oberstes Gesetz.

Er war herrschsüchtig und unerbittlich, gefürchtet und verehrt. Wer in seiner Behörde nicht spurte, flog ganz einfach. Sogar Präsidenten brachte er in Bedrängnis. Acht Präsidenten und drei Kriege machte er mit. Seit ein paar Jahrzehnten ist er schon tot, aber sein System funktioniert noch immer.

Er legte geheime Dossiers an, hatte seine Späher überall. Er wusste alles, deshalb seine (inoffizielle) Macht. Bei weitem nicht immer war bei ihm Wahrheit, was als Wahrheit gelten musste.

Privat blieb er verschlossen. Seine persönliche Sekretärin Helen Gandy lebte mit ihm auf Gedeih und Verderb. Sein engster männlicher Mitarbeiter war Clyde Tolson, den er über alles schätzte. Sogar von einem sexuellen Verhältnis ist die Rede – aber „nichts Genaues weiß man nicht“.

Clint Eastwood hat sich der Sache angenommen und Hoovers Leben und Arbeit in einem Spielfilm minutiös nachskizziert. Zum Beispiel auch die Suche nach dem Mörder des Lindbergh-Babys und den Prozess gegen den vermuteten Entführer Kaufmann, der mit einer Verurteilung und Hinrichtung endete. Es ist sowohl was die Lebensgeschichte Hoovers als auch die inszenatorischen Effekte betrifft ein höchst interessantes Stück geworden – wenn auch eine gewisse Redundanz und Eintönigkeit manchmal nicht fehlt!

Leonardo DiCaprio ist Hoover. Wer je daran gezweifelt haben könnte, dass er ein guter Darsteller ist, muss sein Urteil unbedingt revidieren. Wie er durch alle Lebensalter diesen Heiligen und dieses Monstrum spielt, ist großartig. Die Leistung dürfte nicht ohne Auszeichnung bleiben.

Thomas Engel