Janis: Little Girl Blue

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Nach „Cobain: Montage of a Heck“ über den „Nirvana“-Frontmann Kurt Cobain und „Amy“ über Amy Winehouse kommt mit „Janis – Little Girl Blue“ innerhalb weniger Monate das dritte Doku-Porträt über eine Musiklegende ins Kino, die die Bühne des Lebens bereits in jungen Jahren verließ. Die Filmemacherin Amy Berg, deren Dokumentarfilm „Erlöse uns von dem Bösen“ 2007 eine Oscarnominierung erhielt, porträtiert die 27-jährig verstorbene Musikerin Janis Joplin anhand zahlreicher Archivmaterialien und durch die Verlesung persönlicher Dokumente, ohne dem Zuschauer eine bestimmte Perspektive oder Lesart aufzudrängen.

Webseite: www.arsenalfilm.de

OT: Janis: Little Girl Blue
USA 2015
Regie: Amy Berg
Mitwirkende: Cat Power, Janis Joplin
Länge: 115 Min.
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 14.01.2016
 

FILMKRITIK:

Amy Berg folgt im Aufbau von „Janis – Little Girl Blue“ der klassischen Struktur eines Doku-Porträts und wirft in chronologischer Reihenfolge Schlaglichter auf den Lebensweg der Künstlerpersönlichkeit Janis Joplin. Die 1943 geborene Bluesrock-Ikone wuchs im konservativen Texas auf, wo sie bereits in jungen Jahren aneckte. In ihrer Highschool wurde die freigeistige Frau zum „hässlichsten Jungen“ des Jahrgangs gewählt, was den Gipfel einer Welle von Hohn und Spott darstellte, der sich Joplin in ihrer Jugendzeit ausgesetzt sah. Ende der Sechzigerjahre siedelte die Außenseiterin nach einigen abgebrochenen Studiengängen in die Hippie-Metropole San Francisco um, wo die Karriere der Autodidaktin über kurz oder lang an Fahrt aufnahm. Mit ihrer Reibeisenstimme und ihren griffigen Songtexten feierte Joplin große Erfolge. Rund drei Jahre lang stand sie im Rampenlicht der Hippiebewegung, bevor sie 1970 im Alter von nur 27 Jahren an einer Überdosis Heroin starb.
 
Die Regisseurin Amy Berg trägt eine große Fülle an Material zusammen, das teilweise erstmals öffentlich zu sehen ist. Die obligatorischen Konzertmitschnitte und Interviews mit ehemaligen Bandmitgliedern, Joplins Geschwistern oder Liebhabern ergänzt Berg durch persönliche Dokumente wie Briefe, Postkarten und Notizen. Die Countrysängerin Chan Marshall („Cat Power“), deren rauchige Stimme an jene von Joplin erinnert, liest von Joplin verfasste Briefe und Texte aus dem Off vor und macht die Privatperson hinter der Musiklegende damit ein Stück greifbarer. Ähnlich wie Kurt Cobain sah Joplin ihren Wunsch nach Anerkennung auch auf dem Zenit ihres Erfolgs nicht erfüllt. Stattdessen ließen die Verletzungen der Kindheit und Jugend nicht von ihr ab, was ihrem Alkohol- und Drogenmissbrauch Tür und Tor öffnete. Als Joplin 27-jährig an einer Überdosis Heroin starb, feierte man ihre Songs in aller Welt, doch Joplin fühlte sich immer noch minderwertig und ungeliebt.
 
Anders als Asif Kapadia bei „Amy“ lässt die Filmemacherin Amy Berg ihre eigene Perspektive auf die Protagonistin außen vor. Anstelle einer teleologischen Verdichtung des Lebenswegs auf ein bestimmtes Ziel hin kommt Janis Joplin ausführlich selbst zu Wort, wobei die Archivaufnahmen, Fotografien und analysierten Songtexte kein glattes Bild zeichnen, das ohne offene Fragen auskommt. Dem Publikum ermöglicht das Porträt, das zugleich auch eine Hommage ist, die Persönlichkeit Joplins selbst einzuordnen und ihre unverwüstliche Musik mit dem fundierten Hintergrundwissen neu zu entdecken.
 
Christian Horn