Jazzfieber

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Auch dank des großen Erfolges der Serie „Babylon Berlin“ erlebt die Swing Musik einmal mehr einen Boom. Grund genug für Reinhard Kungel sich auf eine Reise durch die Geschichte des Jazz in Deutschland zu machen. Interviews mit Zeitzeugen und Archivaufnahmen werden dabei mit Bildern junger Jazzmusiker zu einem unterhaltsamen, wenn auch ein wenig oberflächlichen Dokumentarfilm zusammengefügt.

Deutschland 2022
Regie & Buch: Reinhard Kungel
Dokumentarfilm

Länge: 91 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 7. September 2023

FILMKRITIK:

Längst ist der Jazz im Mainstream angekommen, hat seinen Ruf, rebellisch und wild zu sein, verloren, hat er sich vielleicht sogar schon überlebt? Wie es mit dem Jazz in Deutschland weitergehen wird kann Reinhard Kungels Dokumentarfilm „Jazzfieber“ natürlich nicht beantworten, wie es mit dem Jazz hierzulande begann dagegen schon.

In der Weimarer Republik, in den Tanzpalästen nicht nur Berlins, wurde eifrig das Tanzbein geschwungen, wie in der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ zu sehen ist. Der Swing heizte die Massen an, wurde oft von jüdischen Musikern gespielt – und dementsprechend bald von den Nationalsozialisten verboten. Ein Akt der Rebellion war es, im Dritten Reich Jazz zu spielen, wie etliche der Zeitzeugen berichten: Der Gitarrist Coco Schumann etwa (1924-2018), der Klarinettist Hugo Strasser (1922-2016) oder der Pianist Paul Kuhn (1928-2013). Inzwischen sind diese und andere Musiker verstorben, ihnen noch einmal einen großen Auftritt verschafft zu haben, ist eines der größten Verdienste von Kungels Film.

Das viele der Interviewschnippsel nicht über Allgemeinplätze wie „Es gibt nichts schöneres als Musik zu machen“ oder „Die Leute wollten Tanzen“ hinausgehen, mag man bedauern, dieser leichte, auch etwas oberflächliche Ton passt allerdings auch zu einem Film, der in gerade einmal 90 Minuten durch die Geschichte des Jazz in Deutschland saust. Das angesichts dieses Tempo nicht wirklich Platz und Zeit bleibt, um in die Tiefe zu gehen, ist klar. Dennoch finden sich viele interessante Momente, gerade im reichhaltigen Archivmaterial, dass auch eine kleine deutsche Fernsehgeschichte ist: Wenn etwa der Saxophonist Max Greger (1926-2015) zu sehen und hören ist, der mit seinem Orchester die Titelmelodie für das Aktuelle Sportstudio im ZDF aufnahm, die auch heute, Jahrzehnte später, immer noch verwendet wird.

Oder der große Unterhalter Paul Kuhn, der Mann am Klavier, der als Leiter seiner Big Band große Erfolge feierte, eine Form der leichten Unterhaltungsmusik, die bei den breiten Massen ankam, oft aber verschleierte, um welch talentierte, vielfältige Musiker es hier ging.

Das gilt nicht zuletzt für den Saxophonisten Klaus Doldinger, ein ausgebildeter Jazzmusiker, der sich auch dem besonders experimentellen Free-Jazz zuwandte, aber vor allem für seine Titelmusiken zum Filmklassiker „Das Boot“ und für den „Tatort“ bekannt ist.

Kontrastiert werden die Interviews mit den alten Hasen, mit Aufnahmen ihrer jungen Epigonen: Eigens für den Film bildeten junge Jazzmusiker eine Band um die Sängerin Alma Naidu, die Standards spielte und zusammen mit den Musikern der Münchener Band Feindsender einen Bogen in die Gegenwart schlagen. Es sind sicher nicht nur nostalgische Gefühle, die heutzutage Menschen dazu bringen Swing, Lindy Hop oder andere Tänze zu tanzen, zu denen auch schon die Großeltern, vielleicht sogar die Ur-Großeltern tanzten. Ob der Jazz eine Zukunft hat, darüber sind sich Reinhard Kungels Interviewpartner zwar nicht einig, angesichts der Vielfalt dieser Musik, die auch in „Jazzfieber“ mehr als deutlich wird, wäre es zu wünschen.

 

Michael Meyns