Schwere Verbrechen über seit langem eine oft befremdlich anmutende Faszination aus, gerade Serienkiller sind längst zu einem Dauerthema im Kino geworden. Meist liegt der Fokus dabei auf den Tätern, während die Opfer oft außen vor bleiben. Aber auch eine weitere Gruppe Beteiligter ist selten Thema: Die Angehörigen des Täters. Wie sich Eltern eines Mörders fühlen versuchen Katharina Köster und Katrin Nemec „Jenseits von Schuld“ zu beschreiben
Jenseits von Schuld
Deutschland 2024
Regie: Katharina Köster & Katrin Nemec
Dokumentarfilm
Länge: 81 Minuten
Verleih: RealFiction
Kinostart: 19. September 2024
FILMKRITIK:
Es war die schlimmste Mordserie in der deutschen Geschichte: Zwischen 1999 und 2005 tötete der Krankenpfleger Niels Högel in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst eine unbekannte Anzahl von Patienten und wurde in zwei Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt. In den folgenden Jahren fanden umfassende Ermittlungen gegen Kollegen und Vorgesetzte Högels statt, die die Frage klären sollte, wie es dazu kommen konnte, das Högel seine Taten trotz vieler Verdachtsmomente über Jahre fortsetzen konnte.
Diese jahrelangen Ermittlungen, die angesichts von hunderten Zeugen schier endlosen Prozesse, müssen für die Angehörigen der Opfer eine Tortur gewesen sein, an deren Ende oft nur unbefriedigende Antworten standen.
Aber auch das Leben der Eltern von Niels Högel wurde durch die Taten des Sohnes schwer belastet, und um sie geht es in Katharina Köster und Katrin Nemecs Dokumentarfilm „Jenseits von Schuld.“ Ulla und Didi heißen die Eltern, er arbeitet selbst als mobiler Krankenpfleger, sie war Rechtsanwaltsgehilfin. Ein ganz normales, älteres Ehepaar eigentlich, das in einfachen Verhältnissen lebt.
Doch seit Jahren leben sie auch im Schatten der Taten des Sohnes, die auf Grund ihrer schwere zwangsläufig ein riesiges Thema waren und das über einen langen Zeitraum. Dokumentarfilme, ein semifiktionaler Fernsehfilm, unzählige Zeitungsartikel. Und in nicht wenigen wurde gefragt, wie Niels Högel wurde was er ist, wie ein Mann aus einfachen Verhältnissen zu einem vielfachen Mörder werden konnte.
Man kann es nicht wissen, lautet am Ende die Antwort in „Jenseits von Schuld“, die nicht befriedigen mag, aber ehrlich wirkt und den Film über weite Strecken fast banal macht. Ulla und Didi Högel leben ihr Leben weiter, so gut und normal es geht. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten liegen die Taten des Sohnes schon Jahre zurück, viel Zeit also, nachzudenken, zu grübeln, sich zu fragen, was man vielleicht falsch gemacht hat, ob man etwas anders hätte machen können.
Während die Mutter angesichts der Bilder, die während der Folgeprozesse erneut im Fernsehen zu sehen sind, bisweilen beginnt zu weinen, scheint der Vater mit sich im reinen zu sein. Er geht weiter seine Arbeit nach, trifft Freunde zum Kartenspielen in der Kneipe. Das hinter seinem Rücken getuschelt wird, davon ist er überzeugt, aber was will er machen?
Um große Zurückhaltung bemühen sich die Filmemacherinnen, sind nur gelegentlich mit Fragen aus dem Off zu hören, stellen die Eltern ansonsten aber nur da, ohne sie bloßzustellen. Auch dann, wenn es um die Frage geht, ob Niels Högel irgendwann einmal frei kommen könnte. (Was angesichts der festgestellten Schwere seiner Schuld eher unwahrscheinlich erscheint.) Verstoßen haben die Eltern ihren Sohn nicht, man kann es ihnen nicht verdenken, schließlich ist er trotz allem ihr Sohn. Für die Angehörigen der Opfer mag dies schwer zu ertragen sein, aber in gewisser Weise sind auch Högels Eltern Opfer und ohne eigenes Zutun ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Diese Ambivalenzen sensibel und nicht voyeuristisch aufzuzeigen, zählt zu den größten Qualitäten von „Jenseits von Schuld.“
Michael Meyns