JFK Revisited

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Knapp 60 % der amerikanischen Bevölkerung glaubt, dass John F. Kennedy nicht dem Einzeltäter Lee Harvard Oswald zum Opfer fiel, sondern einer Verschwörung. Einer davon ist Oliver Stone, der vor 30 Jahren in seinem Spielfilm „JFK – Tatort Dallas“ eine alternative Wahrheit imaginierte. Nun rollt er in „JFK Revisted“ den Fall noch einmal auf: Nur bedingt dokumentarisch, aber unbedingt faszinierend.

Website: https://dcmstories.com/de

Dokumentarfilm
JFK Revisited: Through the Looking Glass
USA 2021
Regie: Oliver Stone
Buch: James DiEugenio
Länge: 115 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 18.11.2021

FILMKRITIK:

Eines ist klar: Am 22. November 1963 wurde John F. Kennedy, der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, in Dallas getötet. Zumindest das ist sicher. Wer der Täter war, der den ebenso beliebten wie umstrittenen Präsidenten ermordete, ist nie endgültig geklärt worden. Viele Widersprüche haben sich im Lauf der Ermittlungen ergeben, zu fragwürdig wirken die Ergebnisse der so genannten „Warren Commission“, die den Mord untersuchten und in ihrem Bemühen, alles, aber auch wirklich alles klar zu beantworten, wohl mehr Fragen aufwarfen, als sie beantworteten.

Unzählige Bücher sind in den letzten Jahrzehnten über den Mord geschrieben, zahllose Filme gedreht worden, vielleicht der bekannteste, auch einer der einflussreichsten ist Oliver Stones „JFK- Tatort Dallas“. Auch diesem 1991 erschienenen Spielfilms ist es zu verdanken, dass der amerikanische Kongress Akten veröffentlichte, die noch lange unter Verschluss gehalten werden sollten. Klarheit schafften diese Akten jedoch nicht – im Gegenteil. Die bestehenden Ungereimtheiten wurden eher verstärkt, wer vorher schon nicht an den Einzeltäter Lee Harvey Oswald glaubte, tat es nun erst recht nicht, ohne eine so genannte „Smoking Gun“, einen unwiderlegbaren Beweis, würde wohl auch der Mord an JFK nie endgültig geklärt werden.

So einen Beweis hat Oliver Stone auch in seinem neuen Film „JFK Revisited“ nicht zu bieten. Zwei Stunden (in der Langfassung gar vier Stunden) breitet Stone in rasender Montage noch einmal die Fakten, vor allem aber die Theorien aus, die rund um den Mord kreisen: Der junge Präsident JFK, die Hoffnung vieler, die möglicher Bedrohung mancher, der jüngste Präsident der amerikanischen Geschichte, der mit nur 46 getötet wurde, laut den Ermittlungen vom wahnsinnigen Einzeltäter Lee Harvey Oswald, laut manchen Theorien von einem Komplott aus militärischen, mafiösen Interessen, die verhindern wollten, dass Kennedy den Vietnam-Krieg beendete, und eine neue Ära des Friedens einzuleiten.

Oliver Stone ist klug genug, den angeblichen Verschwörern ein Motiv an die Hand zu geben, kann es sich als Vietnam-Veteran, der einen der zerstörerischsten, verbrecherichsten Kriege der Vereinigten Staaten aus erster Hand verfolgte, aber nicht verkneifen, JFK zu verklären. Ohne die These, dass JFK, wenn er gelebt hätte, den Krieg beendet hätte, fällt das Mord-Komplott, das auch Stone hier bedient, in sich zusammen, nur: Beweisen lässt es sich nicht. Da kann Stone noch so virtuos auf der filmischen Klaviatur spielen, Interviews mit ihm genehmen Experten (widersprechende Stimmen bleiben außen vor) zwischen Archivaufnahmen schneiden, ein Stakkato aus Bildern und Tönen inszenieren, dem sich ein JFK-Neuling wohl nur schwer entziehen kann.

Stone ist ein brillanter Regisseur, keine Frage, aber wie weit man ihm mit „JFK Revisited“ trauen sollte steht auf einem anderen Blatt. Interessant ist es dennoch ohne Frage, dass ausgerechnet ein Künstler, der sich wie nur wenige Amerikaner gegen die reflexartige Verdammung Russlands stellt, der auch liberale Demokratische Präsidenten wie Obama oder Biden kritisiert, der sich immer gegen den Strom stellt, einen Film vorlegt, der leicht als Propaganda bezeichnet werden kann. Die „Wahrheit“ über den Mord an JFK kann „JFK Revisited“ jedenfalls nicht präsentieren. Taucht nicht doch noch ein Hieb und Stich fester Beweis auf, wird das Rätsel um einen der aufsehenerregendsten politischen Morde aller Zeiten wohl für immer ungelöst bleiben.

Michael Meyns