Joan Baez – I am a noise

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Sie ist Musikerin, Poetin, Illustratorin, Pazifistin und Bürgerrechtlerin. Und: Sie singt seit den 50er-Jahren für den Frieden. Die Rede ist von Joan Baez, die im Zentrum der akkurat recherchierten, informativen biographischen Doku „I am a Noise“ steht. Der Film verbindet Tonbandaufzeichnungen, Briefe und Tagebucheinträge der Künstlerin mit Interviews, jüngeren Live-Impressionen und Konzertszenen aus dem Archiv. Heraus kommt eine aufwendige Doku, die das künstlerische Wirken und Privatleben von Baez allumfassend aufarbeitet. Und Raum für intime Bekenntnisse sowie ehrliche Offenbarungen gewährt.

USA 2023
Regie: Miri Navasky, Karen O'Connor, Maeve O'Boyle
Buch: Greg Sarris
Darsteller: Joan Baez, Mimi Farina, Bob Dylan, David Harris, Pauline Baez, Michael Moore

Länge: 113 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 28.12.23

FILMKRITIK:

In „I am a Noise“ blickt die amerikanisch-mexikanische Aktivistin und Folk-Sängerin Joan Baez auf ihr ereignisreiches Leben und ihre seit 60 Jahren währende Karriere zurück. In Gesprächen öffnet sie sich und teilt ihre Ansichten, Anschauungen, aber auch ihre Erfahrungen mit jahrelangen gesundheitlichen Problemen. Außerdem können die Filmemacherinnen Miri Navasky, Karen O'Connor, Maeve O'Boyle aus einem reichen Fundus an Archivmaterial und Bildern schöpfen, die einem sowohl die Musikerin als auch den Menschen Joan Baez näherbringen.

Den Rahmen für „I am a Noise“ bilden Konzertszenen und Backstage-Aufnahmen während Baez‘ Abschiedstour „Fare Thee Well“. Sie führte die „Queen of Folk“ 2018/19 nochmals um die Welt. Zu Beginn, in der Mitte des Films und ganz zum Schluss zeigen die Filmemacherinnen in unaufgeregten Aufnahmen und aus abwechslungsreichen Perspektiven Baez auf der Bühne, auf der sie ihre Protestlieder und längst zu Klassikern avancierten Folk- und Pop-Songs präsentiert. Mal ist nur sie allein mit ihrer Akustikgitarre zu sehen und zu hören, mal wird sie von ihrer Band begleitet. Zu dieser zählt ihr Sohn, der Schlagzeuger und Perkussionist Gabriel Baez.

Ihre Familie spielt in „I am a Noise“ eine zentrale Rolle. Und auch die mit ihr verbundenen, schmerzhaften Erinnerungen, über die Baez ausgiebig und unverhohlen spricht. Etwa die komplizierten Beziehungen zu ihren Schwestern Mimi und Pauline. Neid, Eifersucht und Argwohn spielten eine große Rolle und überschatteten das Verhältnis der Schwestern, vor allem nach dem musikalischen Durchbruch von Joan Anfang der 60er-Jahre. „Ihre Berühmtheit hat mich erdrückt“, sagt Pauline an einer Stelle. Sie kommt in „I am a Noise“ ebenso zu Wort. Und Schwester Mimi, 2001 verstorben, gewährt in Form seltener Tonbandaufzeichnungen aus den 60er-Jahren Einblicke in ihr Innerstes.

Dass ebenfalls Baez‘ Vater zu Beginn Schwierigkeiten mit dem Ruhm der Tochter sowie der Tatsache hatte, dass sie mehr verdiente als er, berichten Joan und Pauline offen und einstimmig. Nicht zuletzt schrieb Baez vieles in ihren Tagebüchern nieder, aus denen wichtige Passagen und Auszüge im Film enthalten sind. Zudem zitiert die Doku aus Baez‘ Briefen, die sie u.a. von ihren frühen Konzertreisen an die Eltern schrieb.

Dadurch, dass Navasky, O'Connor und O'Boyle den Blick weiten und sich immer wieder auf wenig bekannte Seiten und Ereignisse im Privat- und Familienleben der Künstlerin fokussieren, kommt man Baez so nah wie nie. Und man erfährt so viel Privates und Intimes wie nie. Über Personen, prägende Geschehnisse und Krisen, über die Baez bislang selten oder noch gar nicht vor einer Kamera sprach. Dazu zählt ihre erste lesbische Liebesbeziehung im Alter von 19 Jahren und ihre, wie sie es nennt, „inneren Dämonen“.

Baez litt seit ihrer Jugend und über Jahrzehnte an starken Stimmungsschwankungen, Depressionen und einer schweren Panikstörung. Heute geht es ihr glücklicherweise besser. Doch aufgrund ihrer Probleme in intimen Beziehungen und weil Baez nur schwer Nähe zulassen konnte, gingen letztlich alle Partnerschaften in die Brüche. Darunter jene mit Freundin Kim Chappell, mit Journalist David Harris und mit Folk-Poet Bob Dylan.

In Archivaufnahmen, manche davon bislang unveröffentlicht, widmet sich „I am a Noise“ der romantischen wie auch beruflichen Verbindung mit Dylan. Zu sehen sind Backstage-Impressionen und mitreißende Szenen von Live-Auftritten jener Tage. Ebenso wird ihrer aktivistischen Arbeit ausreichend Platz eingeräumt. Die entsprechenden Momente und Sequenzen führen zurück in eine bewegende, revolutionäre Zeit der 60er- bis 80er-Jahre. Die Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung („Civil Rights Movement“), der Vietnamkriegs-Proteste, aufsehenerregender Polit-Aktionen, des gewaltfreien Widerstands und Friedensaktivismus.

 

Björn Schneider