Jonas

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Multitalent Christian Ulmen zieht es zurück auf die Schulbank. Als 18-jähriger Sitzenbleiber „Jonas“ besuchte er sechs Wochen eine brandenburgische Gesamtschule. Gedreht wurde in einem echten Klassenverband, mit echten Lehrern und Schülern und ohne ein wirkliches Drehbuch. Das filmische Experiment bewegt sich mutig zwischen Dokumentation und Guerilla-Comedy. Momente des Fremdschämens wechseln sich darin mit authentischen, unterhaltsamen Einblicken in den deutschen Schulalltag ab.

Webseite: www.jonas-derfilm.de

Deutschland 2011
Regie: Robert Wilde
Dramaturgie: Christian Ulmen, Johannes Boss
Musik: Die Sterne, Deichkind, Helge Schneider
Darsteller: Christian Ulmen sowie Schüler und Lehrer der Paul-Dessau-Gesamtschule Zeuthen
Laufzeit: 106 Minuten
Verleih: Delphi
Kinostart: 6.1.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Schule ist doof. Es ist ein Satz, den vermutlich viele Schüler unterschreiben würden, so auch Jonas (Christian Ulmen), der nach zwei Ehrenrunden vor seiner letzten Chance auf einen Abschluss steht. Dazu besucht er zunächst für einen Probezeitraum eine ziemlich durchschnittliche Gesamtschule im Speckgürtel Berlins. Neue Mitschüler, neue Lehrer, ein neues Umfeld, auf den 18-jährigen, der anders als seine Klassenkameraden bereits mit dem Auto zum Unterricht kommt, wartet eine Reise ins Ungewisse. Vor allem Mathe scheint nicht Jonas’ Stärke zu sein. Was ein Logarithmus ist, hat er trotz aller Bemühungen bis heute nicht verstanden. Mehr als für die Welt der Zahlen interessiert er sich für Musik und für seine neue Musiklehrerin Frau Maschke. Um sie zu beeindrucken, beschließt er, eine Schulband zu gründen.

Die Paul-Dessau-Gesamtschule in Zeuthen ließ sich auf ein bemerkenswertes filmisches Experiment ein. Denn Jonas’ Lieben und Leiden mag fiktiv und erdacht sein, doch alle anderen, die in diesem Film vorkommen, sind es nicht. Hier treffen echte Schüler und Lehrer auf eine Kunstfigur. Gedreht wurde dann auch im ganz normalen Unterricht, ohne ein klassisches Drehbuch und mit einem nur sehr dünnen roten Faden wie Autor Johannes Boss zu berichten weiß. Als wäre diese Versuchsanordnung nicht bereits außergewöhnlich genug, so übernahm ausgerechnet Multitalent Christian Ulmen die Rolle des zweifachen Sitzenbleibers Jonas. Der Mittdreißiger wird dank erstaunlicher Make-up-Künste und seines schauspielerischen Talents wieder zum pubertierenden Teenager.

Ulmen hat bereits mehrfach in innovativen Formaten wie „Mein neuer Freund“ und „Ulmen TV“ seine fast bis zur Selbstaufgabe reichende Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Als schnöseliger Adeliger Alexander von Eich oder Dosenbier trinkender Prolet strapazierte er nur zu gerne die Geduld seines Gegenübers. Bei „Jonas“ ging es ihm und Regisseur Robert Wilde jedoch nicht um Provokation. Jonas sollte sich in die Schulklasse integrieren, sich mit Mitschülern anfreunden und eher unauffällig am Unterreicht teilnehmen. Das Drehbuch kannte nur wenige Vorgaben, wie Jonas’ Matheschwäche, die noch nicht einmal gespielt war. Ob einige der Lehrer und Schüler wussten, wer sich in Wahrheit hinter der Person Jonas verbirgt – in dieses Geheimnis weihte sie das Filmteam ganz bewusst nicht ein –, wird nie wirklich aufgelöst. Eigentlich spielt das auch keine Rolle, denn Ulmen geht in seiner Filmfigur vollkommen auf. Er spielt nicht nur, er scheint fortan dieser Jonas zu sein. Dafür betrinkt er sich mit anderen Jugendlichen auch schon mal auf dem Parkplatz des örtlichen Supermarktes.

„Jonas“ beschreibt nicht nur mit einem Augenzwinkern die Sorgen, Freuden und Ängste des Schulalltags, die große Stärke des Films liegt in seinem Mut, Genregrenzen einfach zu ignorieren und seine dokumentarischen Einblicke mit Comedy-Elementen zu vermischen. Dabei wird die Grenze zum Fremdschämen gelegentlich mit voller Absicht übertreten. Das Prinzip des realen Raumes, der von einer Kunstfigur besetzt und übernommen wird, hat der Engländer Sacha Baron Cohen als „Borat“ perfektioniert. Ulmen und Wilde übertragen dieses Konzept auf einen zumeist von Problemdebatten besetzten Ausschnitt deutscher Lebenswirklichkeit. Der Film zeigt das Engagement der Lehrer, auch ihren gelegentlichen Frust, er beobachtet äußerst zurückhaltend den Umgang der Schüler miteinander und ihre versteckten Talente, die in Projekten wie der Schulband plötzlich sichtbar werden. Früher oder später fühlt man sich dann wie Jonas als Teil dieses Klassenverbands. Man lacht, bangt und hofft mit ihnen. Und man erinnert sich an die eigenen Schulzeit, die gar nicht so viel anders war.

Marcus Wessel

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