Jonathan Agassi Saved My Life

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Pornoikone, Muse, Escort – das alles ist Yonatan, der unter dem Pseudonym „Jonathan Agassi“ zum Gay-Sexsymbol avancierte. Der deutsch-israelische Dokumentarfilmer Tomer Heymann begleitet den Pornostar über acht Jahre hinweg, filmt die Höhepunkte des Ruhms in der berüchtigten Industrie und schließlich auch den langsamen, bitteren Abstieg. Entstanden ist ein intimes Porträt, das die Schattenseiten des Geschäfts mit dem eigenen Körper illustriert.

Webseite: www.salzgeber.de

Israel 2019
Regie: Tomer Heymann.
Verleih: Salzgeber & Company Medien
Länge: 106 Min.
Start: demnächst

FILMKRITIK:

Muskulöser Körper, gepflegter Bart, sich kringelnde Haare auf der Brust, verschmitzter Blick und dann auch noch ein XL-Ungetüm in der Hose: das ist Yonatans Kapital im schwulen Hardcore-Porno-Business. Seinen Alltag verlebt er in Underground-Discos oder auf Bühnen, vor der Kamera oder im Fotostudio. Zwischenzeitlich skypt er mit seiner Mutter, die sich daheim in Tel Aviv um ihren Sohnemann sorgt, der seinen Wohnsitz nunmehr in Berlin hat. Ihm gelingt unterdessen ein fulminanter Durchbruch, er heimst sogar Preise für seine Arbeit ein, bei der man ihm den Spaß an der Sache anfangs deutlich anmerkt. In extravaganten Latex-Outfits – sofern sich die wenigen Streifen noch als „Outfit“ bezeichnen lassen können – tritt er auf und macht die Clubs unsicher. Selbstbewusst wirft er sich in Schale, probiert diverse Kostümierungen und kokettiert mit der Kamera, immer und überall. Eine Rampensau mit durchaus genderfluidem Selbstverständnis. 
 
Regisseur Heymann versucht hinter die Fassade Yonatans zu blicken. Beispielsweise wird immer wieder der schwierige Kontakt zum Vater angerissen, oder die Kindheit, in der Yonatan oft in der Schule drangsaliert wurde und Häme abbekam. Viel Raum nimmt auch das enge Verhältnis zur Mutter ein, die die Karriere ihres Sohnes mit gesunder Skepsis (zumindest den Gesichtsausdrücken nach zu urteilen) mitverfolgt. Eine echte Belastungsprobe für die Familienharmonie scheint der Beruf Yonatans jedenfalls weniger zu sein: Die vielen Reisen zu den Drehorten kommen seiner Mutter sogar direkt zugute, denn er bringt ihr allerlei Geschenke mit, kann ihr regelmäßig Geld schicken oder nimmt sie sogar mit auf Reisen zu sommerlichen Drehorten wie Griechenland. Auch die Geschwister scheinen sich mit dem unorthodoxen Lifestyle des Bruders arrangiert und ihren Frieden damit geschlossen zu haben.
 
Dass die Pornobranche ziemlich hart sein kann, muss wahrscheinlich nicht in aller Ausführlichkeit breitgetreten werden. Als Sex-Gott erfährt Yonatan zwar Bestätigung und wird von vielen Seiten angehimmelt, doch ist er auch gleichermaßen Opfer schamloser Objektifizierung. Bei dem Genuss, den ihm seine Persona verschafft, vernachlässigt er das Individuum dahinter. Echte zwischenmenschliche Kontakte wie Freundschaften und Beziehungen bleiben ziemlich auf der Strecke. Mit der größten Selbstverständlichkeit konsumiert er Drogen, umso mehr und härtere, als sein Image allmählich nicht mehr gefragt zu sein scheint und er nach und nach von frischen Gesichtern abgelöst wird. Immer häufiger sieht er sich genötigt, unangenehmere Jobs als Escort anzunehmen. Und bald wird offenbar, dass die jahrelangen Exzesse und die räumliche Distanz zur Familie nicht spurlos an seiner Seele vorbeigeschrammt sind.
 
Über acht Jahre hat Regisseur Heymann ihn bei seinem Werde- und Niedergang begleitet. Wer sich allerdings echte, informative Einblicke in die schwule Pornoindustrie erhofft, wird womöglich enttäuscht, denn die tatsächliche Arbeit Yonatans streift der Film lediglich am Rande und auch die Aussagen des Protagonisten zu seinem tatsächlichen Metier bleiben meistenteils vage. Dafür bekommt man mehr von den unschöne nAuswirkungen auf Yonatans Identität zu sehen, die das Erotik-Gewerbe auf ihn hat: die Rolle des „Jonathan Agassi“, die er sich für die Arbeit überstreift, ist Stage-Persona wie Schutzschild für den im Grunde verletzlichen jungen Mann, der in Sachen Nacktheit zwar alles andere als scheu ist, dafür jedoch sein Innenleben verbarrikadiert.
 
Nathanael Brohammer