Junebug

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Da Stil und Ton amerikanischer Independent-Produktionen immer öfters Einzug auch in den Mainstream halten und von diesem – sprich Hollywood – sogar mittlerweile ganz ungeniert kopiert werden, fällt es keinesfalls leicht, noch originell und authentisch außerhalb des Studiosystems eine Filmidee umzusetzen. Debütant Phil Morrison ist genau dieses Kunststück gelungen. Seine bereits vor zwei Jahren auf dem Sundance Filmfestival uraufgeführte Tragikomödie Junebug wartet mit einer Vielzahl „lebendiger“ Charaktere und einer großartigen Amy Adams auf, die für ihr Spiel mit einer Oscar-Nominierung bedacht wurde.

Webseite: www.arsenalfilm.de

OT: Junebug
USA 2005
Regie: Phil Morrison
Drehbuch: Angus MacLachlan
Musik: Yo La Tengo
Mit Embeth Davidtz, Alessandro Nivola, Amy Adams, Benjamin McKenzie, Celia Weston, Scott Wilson
Filmstart: 1.3.2007
Verleih: Arsenal

PRESSESTIMMEN:

Wenn Großstädter auf Landeier treffen - so könnte man Phil Morrisons hinreißende Tragikomödie "Junikäfer" auf den Punkt bringen... Lakonisch, poetisch und mit leisem Humor genau beobachtet - ein Juwel.
Stern

Amy Adams, die für diese Rolle 2006 für den Oscar nominiert wurde und ein rundes Dutzend andere Preise absahnte, gibt eine unvergessliche, zutiefst anrührende Vorstellung, vor der sich selbst Meryl Streep verneigen würde.
Brigitte

Dass der Clash der Kulturen auch innerhalb der USA stattfindet, beweist diese feinfühlige Tragikomödie von Regisseur Phil Morrison... Ihm ist eine humorvolle Studie über die Macht der Gewohnheit gelungen.
Der Spiegel

Kluges Independent-Kino... eine leise Tragikomödie... schafft es, zart zu berühren. - Sehenswert.
tip berlin

Eine ebenso leise wie eindringliche Tragikomödie über ein Familientreffen, famos gespielt und frei von Klischees. Dieses schönste Debüt seit langem atmet Wahrhaftigkeit. Das ist heute leider schon fast eine Schlagzeile wert.
Cinema

FILMKRITIK:

Auf den ersten Blick klingt die Story von Junebug zugegeben beängstigend nach dem abgenutzten Schema einer „Clash of Cultures“-Komödie, in der eine moderne, intelligente Ostküsten-Geschäftsfrau (Embeth Davidtz) auf eine Gruppe gottesfürchtiger und vermeintlich einfältiger Südstaatler trifft. Anfänglich bewegt sich der Plot auch in diesen Bahnen, wobei die Betonung richtigerweise auf „anfänglich“ liegt. Denn das Drehbuch von Angus MacLachlan nutzt das Setup „Blue vs. Red States“, um etwas viel Tiefergehendes im Umgang mit den Herausforderungen des Alltags aufzuspüren.
 

Madeleine, die Ostküsten-Intellektuelle, entspricht dem Bild einer typischen Städterin: selbstständig, aufgeschlossen, fortschrittlich. Berufliche Gründe sind es, die sie für kurzzeitig weg von der Metropole Chicago nach North Carolina führen. Sie hofft, für ihre Kunstgalerie einen Exklusiv-Vertrag mit einem dort ansässigen Maler abschließen zu können. Auf dem Trip begleitet sie ihr Mann George (Alessandro Nivola), der nach mehreren Jahren bei seinen Eltern vorbeischauen und ihnen bei der Gelegenheit gleichzeitig seine frisch angetraute Ehefrau vorstellen will.

Georges Familie reagiert höchst unterschiedlich auf Madeleine. Während seine Mutter Peg (Celia Weston) dem Neuzugang ablehnend gegenübersteht – sie glaubt, Georges und Madeleines Beziehung sei nicht von Dauer – gibt sich Vater Eugene (Scott Wilson) deutlich sanftmütiger und respektvoller. Georges jüngerer Bruder Johnny (Benjamin McKenzie) missversteht die ihm von Madeleine entgegen gebrachte Aufmerksamkeit als Annäherungsversuch. Er beneidet George nicht nur um dessen hübsche, kluge Partnerin, er hat es zudem bis heute nicht verwunden, dass ihm im Gegensatz zu George nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, aufs College zu gehen. Und schließlich ist da noch Ashley (Amy Adams), Johnnys hochschwangere Frau. Sie ist Feuer und Flamme für das neue Familienmitglied, bewundert sie Madeleine doch für das, was sie aus ihrem Leben gemacht hat.

Die zuvor vor allem im Serienfach erprobte Adams (Smallville, Buffy, The Office) symbolisiert mit ihrer natürlichen, niemals überzogenen Darstellung der gutherzigen Ashley so etwas wie das emotionale Zentrum von Junebug. Jede Szene, in der Adams erscheint, strahlt unweigerlich Wärme und Geborgenheit aus. Sogar in tragischen Augenblicken verleiht sie ihrem Charakter einen fast unerschütterlichen Optimismus. Völlig zu Recht erhielt sie dafür in Sundance stehende Ovationen und eine Oscar-Nominierung als „Best Supporting Actress“. Aber nicht nur Adams überzeugt. Benjamin McKenzie meistert den schwierigen und für das Funktionieren der Geschichte nicht minder entscheidenden Part des einsilbigen, in sich verschlossenen Landeis.

Die Entdeckung der Langsamkeit als bedeutsames Stilmittel erlebte mit David Lynchs The Straight Story – Eine wahre Geschichte eine Wiedergeburt. Regisseur Morrison streut in seinem Erstling Szenen von scheinbarer Belanglosigkeit ein, die mitunter an ein Stillleben erinnern. Er und Drehbuchautor MacLachlan nehmen sich ganz bewusst Zeit. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, hier würden Klischees abgearbeitet und durchdekliniert. In Junebug gibt es keine küchenpsychologischen Erklärungen, nur eine Unmenge ehrliche Anteilnahme an jedem einzelnen Schicksal. Größere Katastrophen sucht man vergebens, ebenso wie amouröse Verwicklungen. Morrisons bemerkenswertes Regiedebüt beobachtet lediglich Menschen bei dem Versuch, mit ihren alltäglichen Problemen, Enttäuschungen und Hoffnungen klar zu kommen. Jeder auf seine Art. Und das ist schon eine ganze Menge.

Marcus Wessel

 

 

Eine amerikanische Durchschnittsfamilie in North Carolina. Sie führt ein bescheidenes Leben. Eugene Johnsten, der Vater, beschäftigt sich mit Holzarbeiten. Er ist reserviert, wortkarg und scheint bereits ein wenig vom Alter mitgenommen zu sein. Peg, die Mutter, gibt sich nur mit banalsten Alltagsdingen ab. Hauptmerkmal: Unauffälligkeit. Johnny ist der daheim gebliebene Sohn. Er ist halb autistisch, gewalttätig, arbeitet in einer Verpackungsfabrik. Dann ist da noch Ashley, Johnnys Frau. Sie ist sehr liebenswürdig, fällt durch ihr ständiges Plappern auf und erwartet ein Kind.

In diese gewöhnliche Welt fällt nun ein Besuch ein. Es ist George, der ältere, in Chicago lebende Sohn der Johnstens, mit seiner Frau Madeleine. Madeleine ist Galeristin und muss einen in der Nähe lebenden Maler besuchen. Das trifft sich gut, denn George wollte bei dieser Gelegenheit unbedingt seine Familie sehen, natürlich auch seine Frau vorstellen. Familienverbundenheit hat bei den Johnstens einen hohen Rang.

Madeleine ist intelligent, geschäftstüchtig, im Umgang mit Menschen versiert. Und da prallen nun die beiden so unterschiedlichen Welten aufeinander: die der eleganten, diskreten, kultivierten Madeleine und die der Johnstens (sowie des Malers), die von einem relativ primitiven, wenn auch gutmütigen Umgang miteinander, von einer spießigen Inneneinrichtung, von Feiern mit Freunden, von Getratsche, vom Essen, vom Fernsehen, vom Rauchen, vom routinierten Nebeneinander-her-leben und –schlafen, ja sogar von antijüdischen Gefühlen geprägt ist.

Es sind keine großen Szenen, die diesen Film prägen, sondern laufend einfache Situationen. Doch sie sind mit einer meisterlichen Beobachtungsgabe geschaffen. Das Alltagsleben, die religiösen Übungen, Johnnys Verschlossenheit und seine brutalen Ausbrüche, Ashleys zwanghafte Versöhnungsbemühungen und ihr nie unterbrochenes Mitteilungsbedürfnis, Madeleines erstaunte Begegnungen mit diesen ihr ganz und gar nicht geläufigen Personen und Situationen, das alles ist präzise dokumentiert und dialogisiert, dass es eine Freude ist.

Eine künstlerisch beachtenswerte Leistung und ein menschlich zu Gemüte gehender Film. Die Zeitschrift „Newsday“ ganz richtig: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Phil Morrison in einem Atemzug mit Jim Jarmusch, Woody Allen und Gus Van Sant genannt werden wird.“

Die Schauspielerleistungen sind sämtlich sehr gut. Amy Adams indessen verdient besonders hervorgehoben zu werden. Wie sie die Rolle der Ashley spielt, ist ein Genuss. Kein Wunder, dass sie dafür in Sundance einen Sonderpreis der Jury und außerdem den amerikanischen Filmkritikerpreis erhielt.

Thomas Engel