Just the Wind

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Lose auf wahren Ereignissen basierend inszeniert der ungarische Regisseur Bence Fliegauf ein packendes, dichtes Drama, das in einer Mischung aus Realismus und Stilisierung den letzten Tag einer Roma-Familie vor ihrer Ermordung schildert. Fliegauf evoziert das Gefühl ständiger Bedrohung, in dem die Roma am Rand der ungarischen Gesellschaft ihr Dasein fristen, ungeschützt vom Staat und fast ohne Hoffnung. Ein eindrucksvoller, stilistisch herausragender Film.

Ausgezeichnet auf der Berlinale 2012 mit dem Silbernen Bär/Großer Preis der Jury, dem Friedensfilmpreis und dem Amnesty International Filmpreis

Webseite: www.peripherfilm.de

Just the Wind (Csak a szél)
Ungarn/ Deutschland/ Frankreich 2012
Regie, Buch: Bence Fliegauf
Darsteller: Katalin Toldi, Gyöngyi Lendvai, Lajos Sárkány, György Toldi, Gyula Horváth, Attila Egyed
Länge: 91 Minuten
Verleih: peripher
Kinostart: 18. Juli 2013

PRESSESTIMMEN:

"Ein aufwühlendes Psychodrama."
CINEMA

"...überzeugt durch seinen Mut zum Realismus. ...Trotz seines zunächst scheinbar spröden Stils gelingt es dem Regisseur Fliegauf dabei, mehr Empathie mit seinen Figuren zu vermitteln als die meisten weitaus offensichtlicher auf Tragödie getrimmten Filme über verfolgte Minderheiten. Der Große Preis der Jury war dafür auf der letztjährigen Berlinale der mehr als verdiente Lohn."
BERLINER ZEITUNG

FILMKRITIK:

Hochsommer im ländlichen Ungarn, eine Kleinstadt, nicht genau definiert, denn nicht um das Spezielle geht es hier, sondern um das Allgemeine. In baufälligen Hütten abseits der Ortschaft beginnt der Tag für eine Roma-Familie: Als erstes ist die Mutter Mari wach, bereitet dem Großvater aus Zuckerwasser und ein paar Brotkrumen ein karges Frühstück, ermahnt ihre Kinder, zur Schule zu gehen und hetzt zur Arbeit. Mit dem Bus einer Hilfsinitiative werden sie und andere Roma an eine Schnellstraße gebracht, an der sie in der brütenden Hitze Müll aufsammeln.

Derweil steht die Tochter Anna auf, wäscht sich mit aus dem Brunnen gepumptem Wasser, zieht sich an und macht sich auf den Weg zur Schule. Ihr etwas jüngerer Bruder Rió bleibt noch länger im Bett liegen, an der Schule hat er kein Interesse, stattdessen stromert er durch die Wälder, steigt in verlassene Häuser ein, baut sich in einem alten Bunker ein Versteck. Denn die Bedrohung ist akut: Erst vor ein paar Tagen wurde eine Nachbarsfamilie ermordet, überfallen, mitten in der Nacht von Schrottkugeln durchsiebt wie räudiges Vieh. Eine Bürgerwehr hat sich gebildet, die das Roma-Quartier bewachen soll, doch dabei selbst höchst bedrohlich und wenig Vertrauen erweckend wirkt.
Wer die Täter sind bleibt unklar, unbestimmte Rechte, selbsternannte Nationalisten scheinen die Täter zu sein, die offenbar auch mit Teilen der örtlichen Polizei zusammenarbeiten. Wirkliche Hilfe haben die Romas nicht zu erwarten, am Rande der Gesellschaft fristen sie ein klägliches Dasein, werden zwar meist nicht mit unmittelbarer Aversion konfrontiert, aber doch mit einer stets spürbaren Ablehnung.

Die – und dies darzustellen ist eine der größten Stärken von Bence Fliegaufs Film – auch zu Aggression in den eigenen Reihen führt. Fliegauf, in Ungarn geboren und international durch Filme wie „Dealer“ und „Womb“ bekannt, verklärt das Leben der Roma in keiner Weise, zeigt mit realistischem Blick die Armut, die Leere, die Chancenlosigkeit ihres Lebens, und deutet auch die patriarchalischen Machtstrukturen innerhalb der Roma-Gemeinschaft an.

Einen größeren Kontext schildert er in „Just the Wind“ nicht, Ursachenforschung, Erklärungen bleiben außen vor, selbst die Morde selbst finden weitestgehend außerhalb des Bildes statt – und sorgen gerade deswegen für eine Atmosphäre der Bedrohung, die Fliegauf durch Bild und Ton betont. Während seine Kamera nah an den überzeugenden Laiendarstellern bleibt, die größtenteils zum ersten Mal vor einer Kamera stehen, und damit eher einer realistischen Schule folgen, ist das Sounddesign expressiv. Ohne auf plakative orchestrale Musik zurückzugreifen, evoziert Fliegauf mit leisen, oft kaum hörbaren Tönen eine unheimliche Atmosphäre, in der die Gefahr hinter jedem Busch lauern kann.

So zeigt „Just the Wind“, welche Folgen die Mordserie nicht nur unmittelbar hat, sondern auch auf welch perfide Weise sie das Leben der Roma angreift, das Gemeinschaftsgefühl in Frage stellt, jeden Schritt, jede Bewegung mit der Möglichkeit auflädt, es könnte der letzte sein.

Ein eindrucksvoller, stilistisch herausragender Film.

Michael Meyns