Kafkas Der Bau

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Für sein Kinodebüt hat Jochen Alexander Freydank die Interpretation einer Kafka-Erzählung gewählt: Aus dem Tier, das seinen Bau perfektioniert und dennoch immer stärker unter Ängsten leidet, wird hier ein Mensch, der sich von der Außenwelt abschotten will.
Axel Prahl spielt diesen anfangs normal wirkenden Mann, dessen Sicherheitsbedürfnis zur Manie wird. Im Gegensatz zu Kafkas Werken ist der Held hier jedoch nicht allein, er und seine Neurosen sind nur der winzige Teil einer tödlich erkrankten Welt. Mit Intelligenz und Logik steigert Freydank seine Geschichte zu einer bedrückenden, optisch eindrucksvollen Endzeitfantasie mit subtilem Witz, die nicht nur Literaturfans, sondern auch Cineasten ansprechen könnte.

Webseite: www.kafkas-der-bau.de

Deutschland 2015
Regie und Buch: Jochen Alexander Freydank (Drehbuch: nach der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka)
Darsteller: Axel Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Devid Striesow, Robert Stadlober, Fritz Roth, Roeland Wiesnekker
Länge: 110 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 9. Juli 2015

FILMKRITIK:

Der Film beginnt mit einer alltäglichen Ausgangssituation: Eine Familie zieht um. In Kafkas Erzählung geht es um ein Tier, vielleicht ein Dachs oder ein Maulwurf. Hier wird daraus ein gut situierter Mann - Franz, der sicherlich nicht nur zufällig so heißt. Er zieht mit Frau und Kindern in eine Luxuswohnung, die in einem perfekt gesicherten, ständig bewachten Gebäude liegt. Während Franz sich in Ängste um die Sicherheit seiner Wohnung so sehr hineinsteigert, dass sie schließlich alle seine sozialen Kontakte stören, kommt das Haus immer mehr herunter. Die Nachbarn ziehen aus, der Wachdienst ist immer weniger präsent. Bald fallen die Fahrstühle aus, und das Treppenhaus wird von Clochards bevölkert. Franz zerbricht endgültig, sein 50. Geburtstag wird zu einem gespenstischen Solo, bei dem er mit eingebildeten Gästen spricht. Doch seine Befürchtungen haben einen durchaus realen Hintergrund. „Es ist bald vorbei hier“, sagt einer der Penner, und er wird rechthaben. Franz‘ Paranoia wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
 
Kafka gilt nicht unbedingt als der Li-La-Launebär der Literaturgeschichte, sondern eher als eine Art schlecht gelaunter Spielverderber. Das ist ein bisschen schade, denn seine Werke verfügen über einen diskret bärbeißigen, ironischen Witz. Dazu passt trefflich, dass Jochen Alexander Freydank mit Axel Prahl als Franz einen überaus vielseitigen, auch humoristisch begabten Vollblutschauspieler gefunden hat. Er beherrscht nicht nur die geforderte Theatralik, sondern spielt mit seinem bekannt brummigen Charme und mit lässiger Überzeugungskraft einen Mann, der langsam, aber sicher in den Wahnsinn abgleitet, während seine Ahnungen Wirklichkeit werden. Axel Prahl spricht die Selbstreflexionen als wörtliche Kafka-Zitate. Das ist eine schwere Aufgabe, die er mutig löst, auch wenn die Absicht des Regisseurs überdeutlich spürbar wird: Hier spricht der Dichter selbst, und so wirken die Worte des großen Dichters manchmal aufgesetzt. Freydank hat sehr viel Aufwand in ein Drehbuch investiert, das sich dramatisch steigert. Das ist schwierig, auch weil Kafka seine Geschichte nicht beendet hat, und es funktioniert nicht durchgängig, was zwischendurch zu Leerlauf führt und Axel Prahls Schauspielerkollegen weitgehend zu Komparsen macht.
 
Hingegen ist die Interpretation vom Menschen und der Welt, die sich zerstört, weil sie zerstört wird, absolut gelungen, vor allem die optische Umsetzung. Die Grenzen zwischen Phantasie und Realität verschwimmen, und der Bau, das riesige rote Gebäude am Rande einer fiktiven Großstadt, ist ebenso beeindruckend wie beängstigend. Schon zu Anfang wird klar, dass die kalte Sicherheit, die es verströmt, nur Lug und Trug ist: Menschenhände wühlen sich im Keller durch Abfallhaufen. Die allgegenwärtigen Kameras zeigen eine Wahrheit, die niemand sehen möchte. Franz ist ebenfalls dem Bilderwahn erlegen, alles zu dokumentieren: Er filmt ständig mit der Handkamera sich selbst und seine Umgebung. Freydank nutzt für seine Bilder einige spektakuläre Effekte, er arbeitet zusätzlich mit Drohnen und Überwachungskameras, filmt oft aus ungewohnten Perspektiven und liefert zahllose beklemmend schöne, expressionistische Bilder, unterlegt von düsteren Klängen – und da ist er sehr direkt bei Kafka. Denn Franz und sein Bau werden zu Symbolen für eine Welt, die sich selbst von innen zerstört. Die Vergeblichkeit der menschlichen Existenz ist bekanntlich kafkatypisches Zubehör. Hier wird es noch bereichert durch eine konsequente Weiterführung bis zur Apokalypse: Das Individuum ist nur scheinbar allein. Seine Verzweiflung ist ebenso sinnlos wie allumfassend.
 
Kurz gesagt: ein schwieriger Film, definitiv nicht sehr angenehm, aber dafür spannend anzusehen, eher Arbeit als Vergnügen mit mehr Nachdenken als Gelächter, aber ein intellektuelles Vexierspiel mit eindringlichen Bildern.
 
Gaby Sikorski