Kai aus der Kiste

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Wiederaufführungen sind in Mode, meist handelt es sich dabei um bekannte, vor wenigen Jahren erfolgreich im Kino gelaufene Filme. Eine willkommene Abwechslung stellt nun „Kai aus der Kiste“ da, ein 1988, kurz vor der Wende in der damaligen DDR entstandener Film, der einen Roman aus den 20er verfilmt: Eine doppelte Zeitreise stellt diese Wiederaufführung da und die Neuentdeckung eines wunderbaren Kinderfilms.

DDR 1988
Regie: Günter Meyer
Buch: Günter Meyer, nach dem Roman von Wolf Durian
Darsteller: Christoph Zeller, Jürgen Watzke, Klaus-Dieter Klebsch, Kirsten Block, Brigitte Möring, Torsten Michaelis

Länge: 93 Minuten
Verleih: Der Filmverleih
Kinostart: 27. Februar 2025

FILMKRITIK:

Berlin, die 20er Jahre. Golden sind sind jedoch beileibe nicht für alle Bewohner der Stadt, denn die galoppierende Inflation frisst die ohnehin knappen Gehälter auf, wenn man denn überhaupt Arbeit hat. Die Eltern des vorlauten Berliner Lausebengels Kai (Christoph Zeller) bilden da keine Ausnahme, alleine die Mutter arbeitet, während der Vater sich eher vergeblich bemüht, seine Autorität zu verteidigen. Kai kümmert sich um seine kleine Schwester und hat ansonsten viele Flausen, aber auch sehr viele Ideen im Kopf.

Kein Wundert also, dass er aufhorcht, als ein exotisches Wesen in der Stadt ankommt: Mac Allen (Jürgen Watzke), der Kaugummikönig aus Texas! Der will sein Produkt auch in Deutschland an den Mann bringen und sucht dafür den Reklamekönig von Berlin. Kurzerhand engagiert Kai seine vielen Freunde, die als Schwarze Hand schnell zeigen, was sie können. Ein Wettstreit zwischen Kai und seiner Bande und dem schnöseligen erwachsenen Werbeprofi Herr Kubalski (Klaus-Dieter Klebsch) entbrennt.

1924/25 erschien „Kai aus der Kiste“ in der Kinderzeitung „Der heitere Florian“ als Fortsetzungsgeschichte und wurde ein so großer Erfolg, dass ein Jahr später ein Roman erschien. Auch wenn man im ersten Moment denken mag, dass der legendäre Erich Kästner hier am Werke war, täuscht man sich: Wolf Durian heißt der Autor, deutlich weniger bekannt als Kästner, auch wenn er mit seiner phantasievollen Geschichte, rund um klassisch Berliner Lausebengel durchaus als Vorbild für den kurz danach erschienenen Klassiker „Emil und die Detektive“ gedient haben könnte.

Es mag nun etwas verwundern, dass ausgerechnet in der Spätphase der DDR dieser Roman aus den Zeiten der Weimarer Republik verfilmt wurde, zumal die Geschichte wie eine Ode an den amerikanischen Kapitalismus, an Kaugummi und Werbung wirkt – allerdings nur auf den ersten Blick, denn für die DDR-Version veränderte Autor und Regisseur Günter Meyer die literarische Vorlage gezielt, vor allem das Ende

Wie ein Onkel aus dem Westen, aus dem Kapitalismus poltert der Texaner Mac Allen hier in ein Berliner Hotel, laut und von sich selbst überzeugt. Sein Kaugummi ist den Angestellten im Hotel so neu, dass sie den Gummi nach ein paar Bissen einfach runter schlucken. Mit List, Phantasie und der Chuzpe eines Berliner Jungs schafft es Kai nun, das Produkt zu bewerben, nie jedoch ohne das Kollektiv zu vergessen: Satte einhunderttausend Mark bekommt jedes Mitglied der Schwarzen Hand für seine Mühen, viel mehr als ein paar Brote lassen sich dafür in Zeiten der Hyperinflation allerdings auch nicht kaufen.

Und das sich am Ende der Kapitalist als Betrüger erweist, macht aus der ursprünglichen Erfolgsgeschichte eine moralische Erzählung, die mit all ihren Widersprüchen allerdings gut in die Zeit ihrer Verfilmung gepasst haben dürfte. Ein Jahr vor Mauerfall entstand „Kai aus der Kiste“, ein Kinderfilm zwar, ein Historienfilm, tatsächlich auch ein Musical, bei dem das Ensemble immer wieder in geradezu bizarre Gesangs- und Tanznummern ausbricht. Aber auch ein Film über wirtschaftliche Sorgen, den Wunsch nach besseren Verhältnissen, der Anspannung in den Familien. Wie sehr Günter Meyer seinen Film auch als Spiegel seiner Zeit intendiert hat sei dahingestellt, 35 Jahre später kann man kaum anders, als ihn so zu lesen. Ein Zeitdokument ist „Kai aus der Kiste“ so oder so, vor allem aber ein prächtig unterhaltsamer Kinderfilm, an dem auch Erwachsene ihre Freude haben können. Früher hat man dazu wohl gesagt: Dufte!

 

Michael Meyns