Kathedralen der Kultur

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Sechs Regisseure portraitieren Orte der Kultur. Sie erforschen mit der 3D-Kamera Gebäude, die für die Kunst oder Wissenschaft entstanden und selbst Kunstwerke sind. Wim Wenders entführt in die Berliner Philharmonie, Robert Redford zeigt das Salk Institut, und der kürzlich verstorbene Michael Glawogger verliert sich im Labyrinth der Russischen Nationalbibliothek. Dabei entstehen Geschichten, und Architektur wird vermessen als eigenständiger Träger von Sinn. Der 156 Minuten lange Film wird in zwei verschiedenen Versionen in die Kinos kommen.

Webseite: www.kathedralenderkultur-derfilm.de

D/DK/Ö/NOR/F/USA 2014
Regie: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Margreth Olin, Karim Ainouz, Robert Redford
Produzenten: Wim Wenders, Erwin M. Schmidt, Gian-Piero Ringel
Länge: 156 Minuten
Verleih: NFP Marketing & Distribution*
Kinostart: 29. Mai 2014
 

FILMKRITIK:

„Wenn Gebäude sprechen könnten, was würden sie uns sagen?“. Diese Frage steht im Mittelpunkt jedes Beitrags. Ziel des Projektes ist es also, die Perspektive umzukehren: Nicht der Blick des Betrachters auf das Gebäude ist ausschlaggebend. Die Häuser entwickeln vielmehr ein Eigenleben, sie erzählen von sich und blicken auf uns Besucher. Einige Filmemacher nehmen diese Vorgabe wörtlich, Wim Wenders etwa, der die Berliner Philharmonie in der ersten Person Singular erzählen lässt. Alle Regisseure suchten sich ihre Gebäude selbst aus – neben Wenders, Redford und Glawogger zeigt Michael Madsen das norwegische Halden Gefängnis, Margreth Olin das Opernhaus in Oslo, und Karim Ainouz wandelt im Centre Pompidou in Paris.
 
Durch den plötzlichen Tod von Michael Glawogger erhält „Kathedralen der Kultur“ eine tragische Note. Sein Beitrag über die russische Nationalbibliothek ist wohl sein letzter fertig gestellter Film. Ein mutiges Experiment aus Kamerafahrten und collageartig montierten Zitaten von Dostojewski und Gogol. Glawogger erweist sich als der radikalste der Filmemacher. Er löst sich völlig aus einem erzählerischen Konzept und will einen Bedeutungsraum hinter den Bildern sprechen lassen, das Wesen des undurchdringlichen Bücher-Dickichts dieser ungeheuren Bibliothek erfassen.
 
Am anderen Ende der Skala bewegt sich Robert Redford, der konservativ die spitzen Winkel des Forschungsanstalt Salt Institute vermisst. Er wählt die Perspektive der klassischen Dokumentation, bettet in einen historischen Kontext ein, erweckt aber nicht wirklich die Anlage selbst zum Leben. Das schafft dagegen Wim Wenders im vielleicht besten Beitrag des Films. Auch er inszeniert eher konventionell, ja geradezu in einem beabsichtigt naiven Tonfall. Sogar der Architekt der Philharmonie, Hans Scharoun, bekommt einen eigenen Auftritt. Wenders, der den Film auch produzierte, gelingt es am überzeugendsten von allen Filmemachern, die Verbindung bahnbrechender Architektur, Kunst, Geschichte und Politik sichtbar zu machen und das Gebäude mit Emotionen aufzuladen.
 
Der Film wird in zwei verschiedenen Versionen in den Kinos zu sehen sein: alle sechs Episoden von zweieinhalb Stunden Länge mit Pause und als Zweiteiler mit jeweils drei Episoden. Vor allem in der Langversion zeigt sich dann doch, dass sich bei aller Unterschiedlichkeit der Macher die Filmsprache wiederholt. Gleitende Kamerafahrten sind bei allen das Mittel der Wahl. Sie bewegen sich durch Flure und Hallen, erforschen Winkel und Schatten, vermessen den Raum der Bauwerke. Gewisse Ermüdungserscheinungen sind dabei unvermeidbar. Auch den Streit um Sinn oder Unsinn von 3D wird dieser Film nicht endgültig entscheiden. Ob die dreidimensionale Version von „Kathedralen der Kultur“ derjenigen in 2D wirklich viel voraus hat, sei dahin gestellt. In allen Episoden ist der immersive Effekt jedenfalls weniger interessant als der jeweilige intellektuelle Zugang. Dennoch ist der Film ein interessantes Omnibus-Projekt, dem es gelingt, Architektur zum Sprechen zu bringen und seine soziale und kulturelle Komponenten fühlbar zu machen.
 
Oliver Kaever