Kein Tier. So Wild

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Große Stoffe der Weltliteratur als Vorlage für zeitgenösssiche Allegorien zu nehmen: Mit „Berlin Alexanderplatz“ hat das vor einigen Jahren ziemlich gut geklappt, nun greift Burhan Qurbani noch eine Etage höher ins Klassikerregal: Shakespears Tragödie „Richard III.“ versucht er als Blaupause für einen Film über Clan-Kriminalität in Berlin zu nehmen, mit einem diesmal durchwachsenen Ergebnis.

Deutschland 2025
Regie: Burhan Qurbani
Buch: Burhan Qurbani und Enis Maci nach „Richard III.“ von William Shakespeare
Darsteller: Kenda Hmeidan, Camill Jamall, Ibrahim Al-Khalil, Mehdi Nebbou, Verena Altenberger

Länge: 142 Minuten
Verleih: Port au Prince Pictures
Kinostart: 8. Mai 2025

FILMKRITIK:

Zwischen den Clans der Yorks und Lancasters scheint endlich Frieden zu herrschen. Die zwei arabischen Großfamilien aus Berlin haben sich jahrelang brutale Kämpfe geliefert, doch nun hält Raschida (Kenda Hmeidan), jüngste Tochter des Hauses York und Anwältin, vor Gericht eine flammende Rede für den Frieden, doch der ist brüchig.

Ihr Bruder Ghazi (Camill Jamall) soll zur Besänftigung der Lancasters ins Gefängnis, in den Tower, sie selbst soll Ali Lancaster (Ibrahim Al-Khalil) heiraten. So hat es ihr Bruder Imad (Mehdi Nebbou) beschlossen, der Anführer des Clans, der zusammen mit seiner angeheirateten deutschen Frau Elisabeta (Verena Altenberger) große Pläne schmiedet: Eine riesige Moschee soll entstehen, dazu mit der Mall of York ein Einkaufszentrum. Doch Raschida hat eigene Pläne, die viel Blut und Verderben über die Häuser und ihre Mitglieder bringen werden.

Shakespeare in Berlin, die Intrigen Richard III. auf den Straßen Neuköllns, statt den englischen Königshäusern treffen arabische Großfamilien aufeinander. Auf den ersten Blick hört sich der Ansatz von Burhan Qurbanis „Kein Tier. So Wild“ großartig an, verführerisch, sexy, ambitioniert. Doch ob die Allegorie dann auch tatsächlich funktioniert und vor allem fast zweieinhalb Stunden trägt steht auf einem anderen Blatt.

Ein Problem zeigt sich sehr schnell: Berlin taucht in diesem Film kaum auf, nur zwei, drei Mal wird die Stadt im Off in Fernsehnachrichten erwähnt. Die Sets dagegen könnten überall sein, man mag die dunklen, schummrigen Clubs und Restaurants, die Autobahnen, die Hammams, die Baustellen, auf denen sich das Geschehen zuträgt für universell halten, könnte sie aber auch als austauschbar bezeichnen.

In diesen Kulissen tragen die Darsteller die Dialoge vor, mal mehr, mal weniger überzeugend gelingt es dabei, die ins Deutsche übersetzte Sprache Shakespeares nicht gekünstelt wirken zu lassen. Immer wieder hat die Dramatikerin Enis Maci in ihrer zusammen mit Regisseur Burhan Qurbani erstellten Neuübersetzung auch zeitgenössische Elemente einfließen lassen, sprechen die Figuren so, wie man es von den Straßen Neuköllns kennt, oder aus deutschen Hip-Hop-Videos.

Deren Ästhetik war eine der Inspirationsquellen für Qurbanis Bilderrausch. Genüsslich zitiert er die typischen Klischees von schnellen Autos, Unmengen von Geld, spritzenden Champagnerflaschen. Doch möchte er damit Vorstellungen von arabischer Männlichkeit bestätigen oder unterlaufen? Auch andere „typische“ Aspekte der arabisch-deutschen Welt finden Eingang, von arrangierten Ehen, über ausgelassene Feiern, bis hin zum aggressiven Auftreten vor Gericht, dass wie vieles andere wie eine bewusste Anspielung auf all die Stereotypen wirkt, mit denen Menschen mit Migrationshintergrund in den deutschen Medien dargestellt werden.

Dieser reduzierten Darstellung einen Spiegel vorzuhalten scheint ein hehres Ziel, dass der Qurbani, selbst in Nordrhein-Westfalen als Kind afghanischer Eltern geboren, mit seinem vierten Film versucht. Ganz geht die Allegorie jedoch nicht auf, allzu lose stehen die einzelnen Szenen nebeneinander, ohne wirklich etwas über das zeitgenössische Berlin zu erzählen. Immer wieder gelingen Qurbani jedoch Bilder von bemerkenswerter Wucht, die ihn erneut als einen der experimentierfreudigsten deutschen Regisseure unserer Zeit ausweisen.

 

Michael Meyns