Keine Sorge, mir geht’s gut

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Nach seinem romantischen Liebesfilm "Die Frau des Leuchturmwärters" zieht es Regisseur Philippe Lioret in seinem jüngsten Film in die seelenlosen Vorstädte von Paris. In dieser gutbürgerlichen Welt leben die Familien apathisch vor sich hin, Kommunikation findet kaum noch statt, die Menschen veröden emotional. Die 19jährige Lili, die über dem spurlosen verschwinden ihres Bruders zu verzweifeln droht, steht im Zentrum des bisweilen etwas unfokussierten Film, der durch seine eindringlichen Bilder und Atmosphäre zu überzeugen weiß.

Webseite: www.keinesorgemirgehtsgut.de

OT: Je vais bien, ne t’en fais pas
Frankreich 2006
Regie: Philippe Lioret
Buch Philippe Lioret, nach dem Roman von Olivier Adam
Darsteller: Mélanie Laurent, Kad Merad, Julien Boisselier, Isabelle Renauld, Aissa Maiga
100 Minuten, Format 1:2,35
Verleih: Prokino
Kinostart: 22. März 2007

PRESSESTIMMEN:

Ein leises, mitunter beiläufig inszeniertes Drama, in dem die feinfühlig entwickelten und gespielten Charaktere nicht nur persönliche Schicksale verkörpern, sondern einen Seelenzustand, der jede Bedeutung in Frage stellt.
film-dienst

Ein großartig gespieltes, ergreifendes Familiendrama aus Frankreich, dessen zentrales Geheimnis eine frappierende Auflösung findet.
Brigitte

FILMKRITIK:

Am Anfang des Films kehrt Lili (Mélanie Laurent) aus den Ferien zurück, voller Enthusiasmus und Plänen. Doch alle Vorsätze geraten ins Hintertreffen als sie erfährt, dass ihr über alles geliebter Zwillingsbruder Loic verschwunden ist. Ein Streit mit den Eltern scheint Anlass gewesen zu sein, doch daran mag Lili nicht so recht glauben. Immer verzweifelter wird sie, die scheinbare Gleichgültigkeit ihrer Eltern macht sie rasend wütend, sie verweigert die Essensaufnahme und fällt in eine tiefe Depression.

Als die Eltern schon jede Hoffnung aufgegeben haben meldet sich Loic plötzlich. Immer wieder wird er fortan Lebenszeichen von sich geben, kurze Karten aus der französischen Provinz, die vor allem von Hass gegenüber seinem Vater gekennzeichnet sind und nichts über sein Leben verraten. Doch für Lili zählt nur eins: Ihr Bruder lebt und mit ihm die Hoffnung, dass sie ihn irgendwann wieder sehen wird. Doch all das ist nur der Aufhänger für Liorets eigentliches Thema.

In losen Szenen beschreibt er fortan Lilis Versuche sich wieder in einen geregelten Alltag einzufügen, ein normales Leben zu führen. Ihre beruflichen Ziele hat sie völlig vergessen, sie jobbt als Kassiererin in einem Supermarkt, schottet sich von allem ab. Nur ihre Freundin Lea (Aissa Maiga) und deren Freund Thomas (Julien Boisselier) sind ihr in Momenten Nahe, ihre Eltern (Kad Merad und Isabelle Renauld) dagegen bleiben ihr Fremd. Sie leben in einem Haus in einer Vorstadt von Paris, die einzige Unterhaltung ist der Fernseher, Freude am Leben empfinden sie in keinem Moment, den Zugang zur (emotionalen) Welt ihrer Tochter haben sie längst verloren.

Zwar verkauft sich der Film als Thriller, der mit der Frage, was mit Loic passiert ist kokettiert, in erster Linie aber funktioniert Liorets Film als Zustandsbeschreibung einer emotional verödeten Gegenwart. Gerade die wunderbar leeren, melancholischen Scope-Bilder evozieren den Verlust an Nähe, an Vertrauen, mit dem alle Charaktere geschlagen sind. Kommunikation findet vor allem über banale Floskeln statt, Bücher sind gerade bei der älteren Generation vom Fernsehen als praktisch ausschließliches Medium abgelöst worden, die Entfremdung zwischen den Generationen ist vollkommen.

Bisweilen würde man sich nur wünschen, Lioret hätte bei all den überzeugenden impressionistischen Momenten etwas mehr darauf geachtet, was genau er denn jetzt eigentlich erzählen will, welcher der Aspekte im Mittelpunkt steht. Die etwas unbefriedigende Auflösung des Verschwindens Loics, das letztlich weniger originell und überraschend ist, als der Film wohl glaubt tut ihr übrigens. Als vor allem atmosphärische Zustandsbeschreibung ist Keine Sorge, mir geht’s gut jedoch äußerst überzeugend, da zeigt er genau das Gegenteil seines Titels, den wohl jeder Mensch schon oft als bloße Floskel verwendet hat, um einer tiefer gehenden Frage und damit einer emotionalen Verbindung auszuweichen.
 

Michael Meyns

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Eine französische Familie, die glücklich sein könnte, wenn sie noch vollständig wäre. Paul ist der Vater, Isabelle die Mutter, Lili die Tochter. Aber wo ist der Sohn, Loic? Seit einiger Zeit ist er verschwunden. Kein Lebenszeichen, keine Spur.

Lili ist die Zwillingsschwester von Loic. Es gibt zwischen Zwillingen, vor allem zwischen eineiigen, offenbar eine enge geistig-seelische Verbindung. Jedenfalls fängt Lili an, unter der Trennung fürchterlich zu leiden. Sie isst nicht mehr, lebt im Streit mit den Eltern, wird depressiv, ja gefährlich krank. Einige Zeit steht sogar ihr Leben auf dem Spiel.

Dann plötzlich Nachricht von Loic. Er schreibt in Briefen und auf Karten, dass er in Frankreich von Stadt zu Stadt wandere und mit seiner Gitarre herummusiziere. Das geht fast ein Jahr so. Blicken lässt Loic sich nicht mehr.

Lili hat sich langsam erholt. Sie wartet zwar noch immer, fängt jedoch wieder langsam an zu leben. Sie findet sogar zu einer zarten Liebe: mit Thomas, dem Ex-Freund ihrer ehemaligen Studienkollegin Lea.

Doch was ist mit ihrem Bruder? Das Rätsel, an dem die Eltern ganz und gar nicht unbeteiligt sind, löst sich zum Schluss auf. Die Lösung ist schlimmer, als man erwarten konnte.

Philippe Lioret hat den wunderbaren Film „Die Frau des Leuchtturmwärters“ geschaffen. Also konnte man auch dieses Mal etwas Besonderes erwarten. Und „Keine Sorge, mir geht’s gut“ ist ein schöner Film geworden.

Mit dem Hauptthema und der Geschichte mag man sich allerdings etwas schwer tun. Lilis verschwenderische bis lebensgefährliche Zwillingsliebe ist vom Konzept her so überzeugend nicht. Dafür stimmt der Rest: das Familienmilieu, das tägliche Leben, die Schauplätze, die Auseinandersetzungen mit dem Vater, das lange geglückte Versteckspiel, die zart aufkeimende Liebe zwischen Lili und Thomas, das verblüffende Ende.

Gespielt wird großartig. Melanie Laurent (Lili), ein verhältnismäßig neues Gesicht, ist von bemerkenswerter Präsenz und ebensolcher nuancierter Ausdruckskraft. Sie ist denn dafür auch mit einem „César“ ausgezeichnet worden. Doch auch Isabelle Renauld als Mutter, Kad Merad als Vater und Julien Boisselier als Thomas machen ihre Sache bestens.

Thomas Engel