Killers of the Flower Moon

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Einer der heißesten Titel des diesjährigen Filmfestivals von Cannes war Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“, eine epische Nacherzählung einer haarsträubenden Mordserie in der indigenen Bevölkerung Oklahomas. Wie viel allerdings schon im Vorfeld über das Bemühen der Produktion geschrieben wurde, respektvoll und umsichtig mit der Geschichte umzugehen, um ja niemanden vor den Kopf zu stoßen, deutete schon die Probleme dieses ambitionierten, aber in vielerlei Hinsicht zerrissenen Films an.

USA 2023
Regie: Martin Scorsese
Buch: Martin Scorsese & Eric Roth, nach dem Sachbuch von David Grann
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Tantoo Cardinal, John Lithgow, Brendan Fraser

Länge: 206 Minuten
Verleih: Apple
Kinostart: Oktober 2023

FILMKRITIK:

Für kurze Zeit waren die Vertreter der Osage Nation, einer indigenen Bevölkerung im US-Bundesstaat Oklahoma, die pro Kopf reichsten Menschen der Welt. Und das aus purem Zufall. Aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten vertrieben, mussten sie nach Oklahoma umsiedeln – und dort wurde bald darauf Öl gefunden. Die Folgen zeigt Martin Scorsese in seinem epischen, 206 Minuten langen „Killers of the Flower Moon“ zu Beginn: Kurz nach dem Ersten Weltkrieg sind die Straßen von Fairfax voll von wohlhabenden Indigenen, die Autos fahren, von den im wahrsten Sinne des Wortes sprudelnden Öl-Einnahmen leben und weiße Bedienstete haben.

Eine Umkehr der scheinbar natürlichen Ordnung der Dinge, wie zumindest manche Weiße dachten. So auch William „King“ Hale (Robert DeNiro), ein Rinderbaron, der einen sinistren Plan entwickelt: Weiße Männer sollen indigene Frauen heiraten. Wenn dies Frauen nun sterben – auf welche Weise auch immer... – gehen die Rechte am Öl und dem Land auf die weißen Männer über. Um diesen Plan zu verfolgen heuert Hale auch seinen Neffen Ernest Leonardo DiCaprio) an, der zwar etwas minderbemittelt ist, aber durchaus charmant. Bald verliebt sich Mollie (Lily Gladstone) in ihn, man heiratet und das lange Siechtum der Diabeteskranken Mollie beginnt. Weit nach der Hälfte des überlangen Films taucht schließlich der Regierungsagent Tom White (Jesse Plemons) auf, der den Fall aufklärt.

Ganz ohne Frage ist dies eine haarsträubende, wichtige Geschichte, die in vielerlei Hinsicht vom amerikanischen Rassismus, den Folgen des ungezügelten Kapitalismus und der Unterdrückung und Ausbeutung von Minderheiten erzählt. Aufgeschrieben hatte sie der für den New Yorker arbeitende Journalist David Grann, auf dessen gleichnamigem Sachbuch der Film basiert. Mit einem fundamentalen Unterschied: Im Buch war Tom White die Hauptfigur, die in der Adaption ursprünglich auch von DiCaprio gespielt werden sollte.

Doch so eine weiße Figur, die von außen in die Welt der Indigenen Völker kommt und eine Mordserie aufklärt, könnte heutzutage allzu leicht als White Saviour gelesen werden. Scorseses Respekt vor der Geschichte, die er erzählen will, vor dem Unrecht, dem er Bilder geben will ist ganz ohne Frage ehrlich. Doch die Lösung, die er und sein Drehbuchautor Eric Roth fanden, um möglichen Vorwürfen zu entgehen, erweist sich als mindestens ebenso problematisch: Denn nicht etwa die starke indigene Figur Mollie steht im Mittelpunkt der Handlung, sondern der nicht nur unsympathische, sondern auch noch dumme Ernest. Zwar verkörpert Leonardo DiCaprio diese Figur mit all ihre Abgründen auf beeindruckende Weise, dass der Fokus des Films auf dem inneren Kampf eines Rassisten liegt, der mit seinem Handeln klar zu kommen versucht und nicht auf den Konsequenzen der Mordserie für die Osage Nation erscheint zumindest schwierig.

Darüber hinaus verzichtet Scorsese weitestgehend auf die Form der stilistischen Überhöhung, die ihn zu dem machte was er ist. Auch in seiner großen Phase, die etwa vom 1975 gedrehten „Taxi Driver“ bis Ende der 90er Jahre dauerte, überzeugten seine Filme weniger durch eine straffe Narration, als durch brillante Bilder, Montagesequenzen, stilistische Flamboyanz, die oft atemberaubend war. Davon ist in „Killers of the Flower Moon“ kaum etwas zu spüren. Souverän gefilmt wirken die ausladenden Landschaften Oklahomas zwar, manche Zitate an klassische Western, vor allem das Sergio Leone Opus „Spiel mir das Lied vom Tod“ sind zu entdecken, doch meistens laufen die über 200 Minuten wie ein trockenes True-Crime-Drama ab.

Angesichts hervorragender Darsteller – neben DiCaprio vor allem Lily Gladstone, die selbst indigene Vorfahren hat – und eines Themas, dass ebenso hochaktuell wie wenig bekannt ist, bleibt „Killers of the Flower Moon“ natürlich ein interessantes Werk. Aber auch eins, das einmal mehr zeigt, dass Respekt für das Sujet allein nicht ausreicht. Manche Themen sollten vielleicht wirklich in erster Linie von den Betroffenen selbst erzählt werden.

 

Michael Meyns