Binnen weniger Jahre hat sich der philippinische Regisseur Brillante Mendoza einen festen Platz im Weltkino. In Cannes mit dem Regie-Preis ausgezeichnet erzählt „Kinatay“ von einer Polizeieinheit, die eine Prostituierte entführt, vergewaltigt und ermordet. Ein schwer zu ertragendes Sittengemälde, dessen Brutalität nicht durch Bilder, sondern durch Auslassungen und eine komplexe Tonspur entsteht.
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Philippinen 2009, 105 Minuten
Regie: Brillante Mendoza
Darsteller: Coco Martin, Mercedes Cabral, Julio Diaz, Jhong Hilario, Maria Isabel Lopez, Mark Meily, Lauren Novero
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 15. Juli
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Man würde „Kinatay“ unrecht tun, wenn man ihn als den jährlichen Skandalfilm abtut, den das Filmfestival von Cannes mit großer Regelmäßigkeit hervorbringt. Zumal die Berichte von unvorstellbaren Grausamkeiten, die angeblich in „Kinatay“ zu sehen sind, deutlich übertrieben waren. Andererseits deuteten diese Berichte schon eine der besonderen Qualitäten des Films von Brillante Mendoza an: Denn die Grausamkeit, die Brutalität, die beschrieben wurde, war und ist nicht auf der Leinwand zu sehen, sondern entsteht mehr oder weniger graphisch in den Köpfen der Betrachter.
Doch zunächst beginnt „Kinatay“ ganz harmlos. In quasi dokumentarischer Manier folgt die Kamera dem jungen Polizisten Peping (gespielt von Mendozas Lieblingsschauspieler Coco Martin) bei einem scheinbar ganz normalen Tag. Er steht auf, isst, fährt zur Arbeit –zwischendurch heiratet er in einer improvisierten Zeremonie seine Freundin – doch dann beginnt die Nacht, nach der nicht nur für Peping nichts mehr so sein wird wie zuvor. Einige ältere Kollegen nehmen ihn mit auf einen Einsatz, der bald in ein Bordell führt. Der Zuschauer erfährt so wenig wie Peping was genau Anlass ist, es geht um Geld, um Schulden, soviel ist klar. Die Prostituierte namens Madonna (nicht der subtilste Einfall des Films) schuldet es dem Anführer der Polizisten, sie kann nicht zahlen und wird mit noch sanftem Druck ins Auto gebracht. Ewig dauert die Fahrt durch die brodelnden, lauten Straßen von Manila, im Inneren des Wagens ist es dunkel, jede Orientierung ist unmöglich und mit der Orientierungslosigkeit, mit der Dauer der unbestimmten Fahrt, nimmt auch das Unbehagen des Zuschauers zu. Noch verstärkt durch die Selbstverständlichkeit des Handelns. Ohne Eile steuern die Polizisten ein abgelegenes Haus an, nicht ohne vorher noch Bier und Essen besorgt zu haben. Und ebenso beiläufig wird nun die Prostituierte vergewaltigt, ermordet und zerstückelt.
An der Tagesordnung sind solche Taten wohl auch in den Philippinen nicht, aber wie Mendoza in zahlreichen Interviews betont auch keine Seltenheit. Und nach Jahrzehnten unter verschiedenen Kolonialherren und anschließender Diktatur, sind Korruption und Machtmissbrauch immer noch allgegenwärtig. Polizisten, wie die im Film gezeigten, müssen kaum Sorge haben für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden, und so bleibt die Gewalt ein Teil der philippinischen Realität. Den Moloch Manila zeigt Mendoza wie in all seinen Filmen mit mobiler, rasanter Handkamera, zu der sich hier noch eine komplexe Tonspur gesellt. Gerade in der Nacht, im Bus, ist es oft so dunkel auf der Leinwand, dass kaum etwas zu sehen ist und die anderen Sinne umso schärfer werden. Das leise Wimmern der Prostituierten hört man da, später ihre Schmerzensschreie aus dem Off, stets unterlegt vom Rauschen des Verkehrs, Lärm, Hupen, Geschrei. Mit seinem Stil grenzt „Kinatay“ an eine physische Erfahrung, wodurch das gezeigte, so wenig davon eigentlich auch zu sehen ist, umso schwerer zu ertragen ist. Brillante Mendoza ist hier ein stilistischer gewagter, zu Recht umstrittener, aber auch faszinierender Film gelungen.
Michael Meyns