So beschaulich das Leben im französischen Jura auch ablaufen mag, für den jungen Totone scheint es keine Zukunft zu geben. Die Hauptfigur von Louise Courvoisiers Debütfilm „Könige des Sommers“ lebt in den Tag hinein, bis ein tödlicher Unfall alles ändert. Eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, die dank des Einsatzes von Laiendarstellern besonders authentisch wirkt und ihre allegorische Handlung nicht überstrapaziert.
Vingt Dieux
Frankreich 2024
Regie: Louise Courvoisier
Buch: Louise Courvoisier, Théo Abadie, Marcia Romano
Darsteller: Clément Faveau, Mathis Bernard, Maïwene Barthelemy, Lucas Marillier, Luna Garret, Dimitry Baudry
Länge: 90 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: Februar
FILMKRITIK:
Im Osten Frankreichs, in der kleinen Gemeinde Pimorin, in der Region Jura, wachsen Totone (Clement Faveau) und seine Freunde Jean-Yves (Mathis Bernard) und Francis (Dimitri Baudry). Während sein Vater Käse produziert ist Totone trotz seiner erst 18 Jahre für seinen exzessiven Lebenswandel bekannt, der ihn dazu verleitet beim Dorffest nackt auf Tischen zu tanzen und Nachts an einer Haltestelle zu versacken.
Die Mutter ist nicht präsent, auch der Vater trinkt zu viel und landet nach eines Abends an einem Baum. Plötzlich steht Totone alleine da und muss sich nicht nur um seine achtjährige Schwester Claire (Luna Garret) kümmern, sondern vor allem endlich sich selbst und sein Leben in den Griff bekommen.
Leichter gesagt als getan, denn Arbeit stand da bislang nicht weit oben auf der Liste. Ein Job in einer Molkerei scheint ihm zumindest ein wenig Halt zu geben, doch lange bleibt er nicht. Bevor Totone entlassen wird horcht er jedoch auf: Satte 30.000 Euro beträgt das Preisgeld für den besten Käse. Plötzlich hat er ein Ziel, zumal auf dem Hof noch ein alter Kessel herumsteht, in dem er bald erste Versuche startet, Käse zu produzieren.
Ein guter Käse muss viele Monate reifen, doch so offensichtlich die Allegorie zwischen Käseherstellung und dem Totones Reife-Prozess auch wirkt: Überdeutlich wird Louise Courvoisier in ihrem Debütfilm „Könige des Sommers“ nicht. In Hamburg lief ihre Tragi-Komödie als Eröffnungsfilm, in Cannes wurde er als Bester Nachwuchsfilm ausgezeichnet, zurecht. Denn Courvoisier beweist großes Gespür für Stimmungen, erzählt beiläufig, lässt Momente stehen, ohne ihre Bedeutung auszustellen und schafft es zusammen mit ihrem fast nur aus Laiendarstellern aus der Region bestehenden Ensemble, einen authentischen Film zu drehen.
Gleich in der ersten Einstellung sieht man ein Kalb in einem Auto stehen, ein Bild, das andeutet wie sehr die Menschen in der Region mit der Natur, den Tieren, dem Käse verbunden sind. Nicht der Rhythmus von Parties und dem Wochenende bestimmen den Tagesablauf, sondern die Bedürfnisse der Tiere. Und wenn das heißt um fünf Uhr morgens aufzustehen, um die Kühe zu melken, dann muss man eben um fünf Uhr aufstehen. Oder frau, denn mit Marie-Lise (Maïwene Barthelemy), stellt Courvoisier dem anfangs durchs Leben irrlichternden Totone eine in etwa gleichaltrige Frau gegenüber, die im Gegensatz zu ihm ihr Leben im Griff hat und fast im Alleingang einen Hof am Laufen hält. Autonom und selbstbestimmt holt sich Marie-Lise dann auch Totone ins Bett, nicht andersherum, auch wenn trotz einer langsameren Annäherung klar bleibt, dass im Zweifelsfall ihre Kühe die Priorität sind. Zumindest solange, bis Totone sein Leben in den Griff bekommt, einen Weg, auf dem ihn „Könige des Sommers“ begleitet. Angekommen ist er am Ende noch nicht ganz, doch wie er sich im Laufe von 90 Minuten von einem ziemlichen Idioten, zu einem Typ entwickelt, bei dem es Hoffnung gibt, zählt zu den schönsten Coming-of-Age-Geschichten jüngerer Vergangenheit.
Michael Meyns