Der berühmte Roman des russischen Schriftsteller Lew Tolstoi hieß „Krieg und Frieden“, in Elfi Mikesh essayistischem Dokumentarfilm steht die Option auf eine Wahl im Titel: „Krieg oder Frieden“. Während der Dreharbeiten überfiel Russland die Ukraine, was den Überlegungen, die Bewohner des brandenburgischen Städtchens Wünsdorf zusätzliche Relevanz geben.
Krieg oder Frieden
Deutschland 2024
Regie: Elfi Mikesh
Dokumentarfilm
Länge: 86 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 17. Oktober 2024
FILMKRITIK:
Rund 40 Kilometer südlich von Berlin liegt Wünsdorf, ein unscheinbarer Ort mit bewegter Geschichte. Jahrzehntelang diente der Ort wechselnden Militärs als Hauptquartier, schon während des Ersten Weltkrieges befand sich hier Hauptquartier des Reichsheeres, in der Zwischenkriegszeit diente die Region unter anderem als Truppenübungsplatz, während des Zweiten Weltkriegs verlegten die Nationalsozialisten immer mehr Kommandos aus dem stark bombardierten Berlin nach Wünsdorf.
In der DDR waren es dann die russischen Besatzungstruppen, die Wünsdorf nutzten. Teilweise waren in dem weniger als 3000 Einwohner zählenden Dorf 50.000 – 75.000 Soldaten der Roten Armee stationiert, die in einem Sperrgebiet, getrennt von der Bevölkerung lebten.
Was sollte nun nach der Wende mit den Jahrzehntelang militärisch genutzten Gebäuden passieren, wie die Transformation zu ziviler Nutzung ablaufen? Als symbolischen Ort versteht die deutsche Kamerafrau und Regisseurin Elfi Mikisch Wünsdorf, als unterschwellige Metapher für viele Fragen, die im mehr oder weniger vereinten Deutschland von Relevanz scheinen.
Zu Wort kommen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, von der Schauspielerin Eva Mattes über den Militärhistoriker und ehemaligen NVA-Offizier Hans-Albert Hoffmann, bis zur Künstlerin Insa Winkler, die zusammen mit ihrem afghanischen Mann Ahmad in Wünsdorf lebt.
Mehr oder weniger Hauptfigur ist jedoch der Architekt und Stadtökologe Ekhart Hahn, der große Pläne für Wünsdorf hat: Er plant den Umbau des ehemaligen Militärgeländes in einen ökologischen Campus. Was vor etlichen Jahren noch utopisch gewirkt haben mag, angesichts des zunehmend deutlich spürbar werdenden Klimawandels mit all seinen negativen Folgen, inzwischen aber zu einem Ansatz wird, den immer mehr große, vor allem aber auch kleinere Städte angehen.
Was in Großstädten, deren Bürokratie schon mit den alltäglichen Aufgaben oft an die Grenzen ihrer Möglichkeit stoßen kaum umsetzbar scheint, könnte in kleineren, agileren Orten leichter umsetzbar sein. Doch auch in einem nur wenigen tausend Einwohner kleinen Ort wie Wünsdorf setzt die Trägheit der deutschen Bürokratie den ambitionierten Plänen enge Grenzen.
So entwickelt sich „Krieg oder Frieden“ zu einem zugespitzten Porträt der deutschen Gegenwart: Wunschvorstellungen der Einwohner stoßen an die Grenzen des Machbaren, die Linien der Geschichte werden gerade angesichts des Ukraine-Krieges deutlich sichtbar, die wechselhafte Vergangenheit ist nie vorbei, die Zukunft bleibt unbestimmt und vor allem ein Hoffnungsraum.
Michael Meyns