Kulissen der Macht

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Es ist ein Problem aus der Hölle. So nannte Samantha Power ihr mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Buch über das gebrochene Versprechen. Nach dem Holocaust hieß es „Nie wieder“. Aber es war ein hohles Versprechen, eine Lehre, die gemacht, aber nicht verstanden wurde, wie zuerst der Balkan, dann Ruanda, dann Libyen und Syrien zeigten – und andere Brennpunkte dieser Welt. Dror Morehs Film „Kulissen der Macht“ zeigt auf, wieso die Phrase „Nie wieder“ nie mehr als das war.

Webseite: https://filmsthatmatter.net/

Corridors of Power
Deutschland / USA / Israel / Frankreich / Großbritannien / Belgien / Norwegen / Niederlande / Dänemark 2022
Regie: Dror Moreh
Buch: Dror Moreh

Länge: 135 Minuten
Verleih: Luftkind Filmverleih
Kinostart: 30. Mai 2024

FILMKRITIK:

Im Jahr 1944 wussten die Alliierten von den Konzentrationslagern, von den Gaskammern, von den Krematorien – und doch traf keine einzige Bombe die Zugstrecken, die die Menschen in die Vernichtungslager führte. Auch wurden keine Gaskammern und Krematorien bombardiert. Nichts geschah, um das systematische Morden zumindest zu verlangsamen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mit der Gründung der UN sollte dem Völkermord ein Riegel vorgeschoben werden. „Nie wieder“ war eine Maxime, aber eine, an die sich praktisch keine US-Regierung gebunden sah. Weil nationale Interessen vorgingen.

„Kulissen der Macht“ befasst sich mit dem Völkermord auf dem Balkan, dem Abschlachten von 800.000 Menschen in Ruanda, den Massakern im Irak und in Libyen und der langen Zeit der Untätigkeit – bis hin zu roten Linien, die in Hinblick auf Bashar Assads Ermorden des eigenen Volks gesetzt und dann wieder einkassiert wurden. Hier kommen Samantha Power, aber auch Politiker wie Hillary Clinton und Colin Powell zu Wort, ebenso wie jene, die im engsten Vertrautenkreis des jeweiligen Präsidenten waren.

Der Film führt schmerzhaft vor Augen, wie Ideal und Realpolitik aufeinanderprallen – mal mehr, mal weniger. Morehs Werk ist unbequem, wenn es zeigt, dass die Nationen dieser Welt im Kosovo eingriffen, aber Ruanda sich selbst überließen. Wie ein Feilschen um die Definition des Begriffs Völkermord begann, nur um sich aus der Verantwortung ziehen zu können. Der Film schafft es aber auch, zu zeigen, wieso die Akteure handelten, wie sie handelten. Wieso die Obama-Regierung mit Luftschlägen und Bodentruppen dem Sturz von Gaddafi in Libyen den Weg bereitete, aber den Menschenschlächter Assad in Syrien gewähren ließ. Das Handeln der Obama-Administration ist sogar nachvollziehbar, es zeigt aber vor allem auf, in welch unperfekten Welt wir leben.

Es gibt Momente in dem Film, da spürt man die Wunden, die manche der Akteure sich zugezogen haben, und mit denen sie noch immer kämpfen. Man merkt ihnen die Verzweiflung an, dass ihr Handeln nicht dem entsprach, was ihre Moral diktiert hätte. Es sind diese Momente, in denen „Kulissen der Macht“ eine erstaunliche Menschlichkeit offenbar – weil niemand perfekt ist, und auch die besten Absichten geopfert werden können, wenn der Glaube vorherrscht, es diene einem höheren Ziel.

Vor allem aber zeigt der Film auf, dass „Nie wieder“ kein Versprechen war, nicht mal eine Lehre, die die Länder dieser Welt nach dem Holocaust gezogen hätten. „Nie wieder“ ist ein moralischer, aber kein politischer Imperativ. Die Welt dreht sich weiter, die Völkermorde enden nie. Jede Generation hat ihr Auschwitz, ihr Ruanda, ihr Srebrenica – und eine Verantwortung, der sie nicht gerecht wird.

 

Peter Osteried