Im Wettbewerb der Berlinale hatte „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“, der vierte Film des mexikanischen Regisseurs Alonso Ruizpalacios, seine Weltpremiere, ging bei der Preisverleihung jedoch leer aus. Vielleicht war die Geschichte um eine Küche in New York, die als Allegorie des oft zitierten Schmelztiegels dient, am Ende doch etwas zu unsubtil, was allerdings nicht von den Qualitäten eines Films ablenken sollte, der eine Ode an die oft unsichtbaren Arbeiter ist, die westliche Gesellschaften am Laufen halten.
La Cocina – Der Geschmack des Lebens
Mexiko/ USA 2024
Regie: Alonso Ruizpalacios
Buch: Alonso Ruizpalacios, nach dem Theaterstück von Arnold Wesker
Darsteller: Raúl Briones, Rooney Mara Anna Diaz, Motell Foster, Oded Fehr. Eduardo Olmos, James Waterston
Länge: 139 Minuten
Verleih: SquareOne
Kinostart: 16. Januar 2025
FILMKRITIK:
Wenn New York der Mittelpunkt des Universums ist (was viele New Yorker bestätigen würden), dann ist der Times Square der Mittelpunkt von New York. Und genau hier liegt das Restaurant „The Grill“, betrieben von einem Mann namens Rashid (Oded Fehr), der irgendwo aus dem Nahen Osten kommt. Oben, im großen Speisesaal servieren meist kaukasische Kellnerinnen eher einfache Speisen vom Sandwich bis zum klassischen New York Cheesecake, aber auch ein Hummer kommt schon mal auf den Tisch.
Eine von ihnen ist Julia (Rooney Mara), die an diesem Freitagmorgen abgelenkt zur Arbeit kommt und sich nicht an den Scherzen der anderen Angestellten beteiligt: Sie ist schwanger und hat am Nachmittag einen Termin zur Abtreibung. Der Vater Pedro (Raúl Briones) arbeitet in der Küche, an einer der vielen Kochstationen bereitet er Hühnchen zu, zusammen mit diversen, meist dunkelhäutigen Kollegen sorgt er für den scheinbar nie endenden Strom an Speisen, die oben verzehrt werden. Ein schier babylonisches Sprachgewirr herrscht hier, viel spanisch kann man hören, dazu albanisch, arabisch, französisch.
Ein Hitzkopf ist Pedro, der sich mit dem zu Rassismus neigenden Koch Max (James Waterston) prügelt, seinem Boss Widerworte gibt und nun im Verdacht steht, sich in der Kasse bedient zu haben, um Julias Abtreibung zu finanzieren. Die Ermittlung führt der Mexikaner Luis (Eduardo Olmos), der nun die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt und gerne Lewis genannt werden würde.
Die Figur des Luis – ein Mexikaner, der glaubt, seine lateinamerikanische Herkunft mit dem Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft abgelengt zu haben ist eine der subtileren Einfälle von Regisseur und Autor Alonso Ruizpalacios, der ein in den 50er Jahren entstandenes Theaterstück von Arnold Wesker, das ursprünglich in London spielte adaptierte und in den sprichwörtlichen Melting Pot New York verlegte, den Schmelztiegel schlechthin. Doch auch in vielen anderen westlichen Städten könnte der Film spielen, was hier verhandelt wird, ist die Realität auch in London oder Oslo, Paris oder Berlin. Ohne migrantische Arbeiter wie die hier gezeigten würde die westliche Welt längst nicht mehr funktionieren, Demographen und Wirtschaftswissenschaftler sagen, dass allein Deutschland pro Jahr 250.000 Migranten braucht, um den jetzigen Wohlstand zu sichern.
Gut behandelt werden diese Arbeiter, diese Träumer dennoch nicht immer, auch des deutet Ruizpalacios immer wieder an. Oft neigt der Mexikaner, der einst selbst in einer Küche arbeitete, zu etwas offensichtlichen Allegorien, zu metaphorischen Bildern wie einer Überschwemmung mit Cherry Coke, die die Küche zu einem Morast verwandelt. Explizite Dialoge wechseln dabei mit in markanten schwarz-weiß gefilmten Szenen ab, in denen die Küche auf atemberaubende Weise am Laufen gehalten wird.
Allzu oft wird diese Ebene, dieser Unterbau der Gesellschaft nicht oder zu wenig wahrgenommen, ohne den im Westen immer weniger funktionieren würde. Auch wenn er bisweilen zu allzu deutlichen Bildern und Symbolen neigt: Wie er dieser migrantische Welt schildert macht Alonso Ruizpalacios „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ zu einem sehenswerten, humanistischen Film.
Michael Meyns