La isla mínima – Mörderland

Zum Vergrößern klicken

Skepsis und Intrigen schlagen zwei in der ländlichen Region Andalusiens ermittelnden Polizisten im Noir-Thriller „La Isla minima“ entgegen. Die Jahre der Franco-Diktatur liegen nicht weit zurück und besonders gut kommen die Beamten auch nicht miteinander aus. Unter diesen erschwerten Umständen müssen sie einen heiklen Fall lösen. Der neue Film des spanischen Regisseurs Alberto Rodríguez, der mit zehn Goyas ausgezeichnet wurde, verbindet auf meisterhafte Weise das Trauma diktatorischer Unterdrückung und politische Aufarbeitung mit einer atmosphärischen, stimmungsvollen Inszenierung. Dazu kommen glaubhafte Darsteller und die beeindruckenden Natur-Bilder, die den Film unbedingt sehenswert machen.

Webseite: www.dropoutcinema.org

Spanien 2014
Regie: Alberto Rodríguez,
Drehbuch: Rafael Cobos, Alberto Rodríguez
Darsteller: Raúl Arévalo, Javier Gutiérrez, Antonio de la Torre,
Nerea Barros, Salva Reina, Jesús Castro, Manolo Solo
Länge: 105 Minuten
Verleih: Drop-Out Cinema
Kinostart: 28. Juli 2016

FILMKRITIK:

1980 tief im spanischen Süden: Der junge Kriminalbeamte Pedro (Raúl Arévalo) wird von Madrid in das kleine, verschlafene Nest Villafranca del Guadalquivir versetzt. Hier soll er gemeinsam mit seinem neuen Kollegen Juan (Javier Gutiérrez) das Verschwinden zweier Schwestern aufklären. Die Vorzeichen für die Ermittlungen stehen alles andere als gut: die Zwei können sich nicht sonderlich leiden, die Eigenheiten der verschwiegenen Dorfbewohner erschweren ihnen die Arbeit und der Vater der Schwestern zeigt sich auch nicht gerade kooperativ. Doch damit können sich die Polizisten nicht unnötig aufhalten, denn schnell wird klar, dass sie es mit einem unberechenbaren Gegner zu tun haben, der keine Skrupel kennt.

Mussten im letzten Film von Alberto Rodríguez  („Kings of  the city“), die Beamten noch den illegalen Drogenhandel in der Großstadt bekämpfen, verlagerte er die Handlung seines neuen Films nun in die ländliche Einöde. „La Isla minima“ wurde bereits 2014 gedreht, findet nun aber doch noch seinen Weg in die internationalen Kinos. Bei den Goya-Verleihungen 2015, der spanischen Antwort auf den Oscar, war der Neo-Noir-Thriller der größte Abräumer: bei 17 Nominierungen konnte der in Sevilla und anderen, sumpfigeren Gebieten Andalusiens gedrehte Film, zehn der begehrten Preise mit nach Hause nehmen.

Alle seine sieben Spielfilme ließ Rodríguez bisher in seiner Heimat Andalusien spielen, und so auch „La Isla minima“. War sein letztes Werk noch in den späten 80er-Jahren angesiedelt,  verpflanzt er seinen Plot hier noch tiefer in die Vergangenheit. Es ist das Jahr 1980, erst fünf Jahre liegt die faschistische Diktatur unter General Franco zurück. Spanien verfügt erst seit kurzem über eine demokratische Verfassung und die Erinnerungen an die Schreckensherrschaft sind noch immer in den Köpfen der meisten Menschen präsent. Dies macht sich der Film zunutze und kreiert ein authentisches, glaubhaftes Bild von der Stimmung und Atmosphäre jener schwierigen Umbruchs-Jahre im Land.

Vor allem in ländlichen Gegenden machten sich die Ausbeutung und Unterdrückung durch das Regime bemerkbar. Im Film ist z.B. zu sehen, wie für einen Hungerlohn schwer schuftende Feldarbeiter für eine faire Bezahlung kämpfen ohne dabei verhaftet zu werden, und auch junge Frauen haben nun mehr „Rechte“. Sie müssen ihr erstes Date nicht gleich heiraten. All diese Dinge wären nur wenige Jahre zuvor nahezu undenkbar gewesen, dennoch zeigt sich an vielen Stellen im Film die Fragilität der noch so jungen Demokratie: in den Wohnungen und Hotelzimmern hängen zum Teil immer noch Bilder und Zeichnungen Francos an den Wänden – in einer Szene des Films direkt neben dem größten Massenmörder der Geschichte, Adolf Hitler.

Die Zerbrechlichkeit des jungen politischen Systems sowie die Unsicherheit der Dorfbewohner schlagen den Ermittlern immer wieder entgegen. Die Bewohner zeigen sich Neuem (hier: den Ermittlern aus der fernen Großstadt) gegenüber unaufgeschlossen, verhalten sich wenig kooperativ und wollen die Beamten am liebsten schnell wieder los werden. Regisseur Rodríguez gelingt damit eine gekonnte, passende Allegorie auf die schwierigen politischen und gesellschaftlichen Zustände eines zutiefst zerrütteten Landes.

Zutiefst zerrüttet ist schon von Beginn an das Verhältnis der Ermittler, deren Ansichten und politische Weltanschauungen nicht unterschiedlicher sein könnten. Und auch hier gelingt Rodríguez wieder eine hervorragende Übertragung der Stimmung im Land, diesmal heruntergebrochen auf die beiden Hauptfiguren, die leidenschaftlich von Raúl Arévalo und Javier Gutiérrez verkörpert werden. Der eine (Pedro), ein eher ruhiger Zeitgenosse und überzeugter Demokrat mit dem Willen zum Aufbruch und zur Veränderung. Der Andere (Juan), ein – so scheint es manchmal – dem Faschismus nachtrauender, gebrechlicher und gewaltbereiter Ermittler. Ein eingespieltes Team sind sie zu keinem Zeitpunkt, im Gegenteil: hier trifft, wenn man so will, Neu auf Alt und Modernes auf Archaisches.

Während die Thriller-Dramaturgie und Polizeiarbeit nach bekanntem Muster verlaufen (viele Befragungen, Sicherstellen von Beweisen etc.) besticht der Film zuletzt auch durch die atmosphärischen, meisterhaften Landschafts- und Panoramaaufnahmen des Handlungsortes. Sumpfige Landstriche, geometrische und quer durch die Umgebung verlaufende Flussläufe  und fruchtbare Flussbecken stehen für eine erhabene, beeindruckend schöne Natur – und diese bildet quasi den Gegensatz zur bedrückend-bedrohlichen, tristen Stimmung innerhalb des Dorfes.

Björn Schneider