Lady Macbeth

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Von Schottland via Russland in den Norden England geht es in „Lady Macbeth“, zumindest was die Einflüsse des lose auf Shakespeares Figur und ihrer russischen Interpretation basierenden Films angeht. Zur Machtgier und Verrat des Originalstoffes kommen in diesem bemerkenswerten Debütfilm Klassen- und Rassenfragen, die William Oldroyd zu einem dichten Geflecht spinnt.

Webseite: www.LadyMacbeth-Film.de

GB 2016
Regie: William Oldroyd
Buch: Alice Birch, nach der Novelle von Nikolai Leskov
Darsteller: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton, Naomi Ackie, Christopher Fairbank, Anton Palmer
Länge: 89 Minuten
Verleih: Koch Media, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 2. November 2017

FILMKRITIK:

Im Norden Englands, Mitte des 19. Jahrhunderts, heiratet die junge Katherine (Florence Pugh), besser gesagt: Sie wird verheiratet, denn für die Eheschließung ist ihre Meinung irrelevant. Ihr Gemahl ist Alexander (Paul Hilton), der Katherine in der Hochzeitsnacht bestimmend auffordert, sich auszuziehen, sie begutachtet wie jedes andere Tier auf seinem Hof, um sich dann wortlos ins Bett zu legen und ihr den Rücken zuzukehren.
 
An Frauen hat er kein Interesse, Katherine dafür an Männern und so beginnt sie bald eine Affäre mit dem Stallburschen Sebastian (Cosmo Jarvis), der nicht nur aus einer niedrigen Klasse ist, sondern auch noch schwarz. Immer intensiver wird die Affäre, die dank einer längeren Abwesenheit von Alexander blüht, jedoch niemandem verborgen bleibt. Um ihre neu gefundene (sexuelle) Freiheit in der patriarchalischen Welt, in der sie gezwungenermaßen lebt, zu verteidigen, ist Katherine bald jedes Mittel recht.
 
Mitte des 19. Jahrhunderts waren Variationen von Shakespeares Dramen, verlegt in das Zarenreich, beliebtes Sujet russischer Autoren. Iwan Turgenew schrieb etwa „Ein König Lear der Steppe“ und Nikolai Leskow „Die Lady Macbeth von Mzensk“, die nun wieder der Theaterregisseur William Oldroyd zurück nach Großbritannien verlegt. Allerdings bezeichnenderweise nicht wie Shakespeares Drama in die schottischen Highlands, sondern in den Norden Englands, ein erster Hinweis auf die Intentionen dieser Adaption.
 
Das Hauptmotiv ist auch hier die Unterdrückung der Frauen, die praktisch rechtlose Wesen sind, nach Gutdünken der Männer verheiratet und benutzt werden und in jeder Hinsicht ihrer Freiheit beraubt werden. Eingesperrt in ein zwar weitläufiges, aber kaltes und dunkles Herrenhaus lebt Katherine, der immer wieder explizit untersagt wird, nach draußen zu gehen, zu spazieren, sich in der Natur aufzuhalten, als würde der Kontakt zu den Elementen ihre animalischen Triebe wecken.
 
In gewisser Weise bewahrheitet sich diese Befürchtung auch, doch die Folgen, so wie Oldroyd und seine Drehbuchautorin Alice Birch schildern, sind vielfältig. Und hier kommt die bedeutendste Veränderung an Leskows Novelle ins Spiel: Die schwarzen Hausangestellten. Nicht nur Katherines Liebhaber Sebastian, auch die Haushälterin Anna sind schwarze Angestellte, zwar nicht unbedingt Sklaven, aber doch den Wünschen der weißen Herren und auch der weißen Dame Katherine untergeordnet. Wenn nun Katherine zunehmend losgelöst agiert, sich ihren sexuellen Lüste hingibt, Sebastian zu einem scheinbar gleichberechtigten Teil ihres Lebens macht, schwingt doch immer mit, dass diese scheinbare Gleichheit nur für den Moment existiert.
 
Konnte man die Lady Macbeth in Leskows Geschichte noch als Opfer einer patriarchalischen Gesellschaft verstehen, die durch die Unterdrückung von Seiten der Männer zu ihren Taten getrieben wurde, ist sie bei Oldroyd eine deutlich ambivalentere Figur. Ihre zunehmende Freiheit, die teils durch die Umstände, teils durch ihre kriminelle Energie entstehen, nutzt Lady Macbeth auf eine Weise, die sie am Ende kaum von den Männern unterscheiden lässt, gegen die sie sich einst auflehnte.
 
In kaum 90 Minuten entfaltet Oldroyd dieses vielfältige, moralische Tableau, in dem unterschiedlichste Klassen- und Rassenfragen angedeutet werden, die in niederträchtiges Verhalten kulminieren, das einem Shakespeare-Drama würdig ist.
 
Michael Meyns