Lagunaria

Zum Vergrößern klicken

Eine Stadt oder ein Mythos? Oder eine Mischung aus Beidem? Von Venedig ist die Rede, der malerischen Lagunenstadt, die in vielerlei Hinsicht bedroht ist, vom Massentourismus und vom Klimawandel. Hier lebt und arbeitet der italienische Regisseur Giovanni Pellegrini, der sich in den letzten Jahren oft mit seiner Heimat beschäftigt hat, jedoch nie so poetisch wie in seinem Film „Lagunaria.“

Italien 2023
Regie & Buch: Giovanni Pellegrini
Dokumentarfilm

Länge: 85 Minuten
Verleih: Realfiction
Kinostart: 21. Dezember 2023

FILMKRITIK:

Lagunen, Gondeln, Karneval, der Markusplatz, der Lido. Wohl jeder hat beim Namen Venedig Bilder im Kopf, unzählige Filme wurden hier gedreht, unzählige Touristen verstopfen täglich die engen Gassen des Zentrums, lassen Venedig zunehmend unbewohnbar werden.

Schon seit den Anfängen des Tourismus steht Venedig ganz oben auf der Wunschliste der damals noch wenigen Reisenden, auch Goethe machte auf seiner vielzitierten Reise durch Italien hier Station. Im Laufe der Jahre wurden es immer mehr Besucher, dank Airbnb und ähnlicher Portale wurden immer mehr Wohnungen im Herz der Stadt zu Ferienwohnungen umfunktioniert, leben immer weniger echte Venezianer im Zentrum der Stadt, wurde Venedig zum Opfer seines Erfolges.

Doch nicht nur die Gentrifizierung und der Massentourismus sind ein Problem Venedigs, für die auf Stelzen gebaute Stadt ist der Klimawandel eine besondere Bedrohung. Wird nichts unternommen, wird Venedig unweigerlich irgendwann verschwinden, schlicht und ergreifend im Meer versinken, wird Venedig zu einer unsichtbaren Stadt werden, um den Titel von Italo Calvinos legendärem Buch zu zitieren.

Dass der italienische Dokumentarfilmer Giovanni Pellegrini als Ausgangspunkt für seinen neuen Film“ Lagunaria“ nimmt, der ursprünglich eine eher konventionelle Dokumentation über Venedig und die Probleme der Stadt werden sollte. Doch mit der Corona-Pandemie veränderte sich Pellegrinis Ansatz, die plötzliche, vermutlich gespenstisch anmutende Leere in der Stadt, die Folge des plötzlichen Ausbleiben von Touristen, veränderte den Blick.

So leer, so ruhig, so malerisch wie in manchen Bildern von „Lagunaria“ ist Venedig in der Realität, erst recht in der post-Covid-Realität, kaum mehr zu erleben. Zum Kontrast schneidet Pellegrini Bilder vom Karneval dazwischen, zeigt die Touristenmassen, die sich in den engen Gassen, auf den Brücken stauen, alle mit dem Handy bewaffnet, um ein Bild von Venedig zu machen, ein Bild, auf dem eher andere Touristen zu sehen sind, als Venedig selbst.

Täglich legen riesige Kreuzfahrtschiffe an, spucken Tausende Touristen aus, die durch die Gassen strömen und Abends wieder verschwinden. Welche Konsequenzen dies für die Stadt hat, zeigt Pellegrini in klassisch dokumentarischen Szenen, in denen auch der Klimawandel gezeigt wird, der die Stadt auf dem Wasser besonders bedroht.

Den Rahmen von „Lagunaria“ bildet schließlich eine mystische, phantastische Ebene, in der Bilder einer menschenleeren Lagune zu sehen sind, aus der winzige Inselchen herausragen. Eine an Calvino angelehnte Erzählerstimme sinniert über die Stadt, die es an diesem Ort, Gerüchten nach, einmal gegeben hat, die jetzt, in ferner Zukunft, aber nicht mehr existiert. Ist dies das Schicksal, das Venedig droht? Ist die Stadt in der Lagune dem Untergang geweiht, entweder durch den Massentourismus oder den Klimawandel oder sogar durch Beides? Passend zum oft morbiden Charme von Venedig wirkt dieser erzählerische Ansatz, mit dem Pellegrini seine Heimatstadt porträtiert, ein elegischer Blick auf eine Stadt im ewigen Wandel.

 

Michael Meyns