Ein poetischer Debütfilm, der mit viel Sensibilität einen Blick aufs Jungsein wirft: Jenna Hasse erzählt die Geschichte einer 14-Jährigen, die Freundschaft mit einem kleinen Mädchen schließt. Beide sind auf ihre Art Rebellinnen – missverstanden, einsam und auf der Suche nach dem Besonderen, vor allem aber nach sich selbst und ihrem Platz im Leben. Joël, ein junger Fischer, wird ihr Verbündeter. Gemeinsam wollen sie der Wirklichkeit entkommen. Einen kurzen Sommer lang.
Webseite: https://mindjazz-pictures.de
Schweiz 2023
Regie: Jenna Hasse
Drehbuch: Jenna Hasse, Nicole Stankiewicz, Julien Bouissoux
Darsteller: Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhoff
Kamera: Valentina Provini
Länge: 76 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 24. August 2023
FILMKRITIK:
Das Kinderheim am Genfersee ist alles andere als luxuriös, aber für die Kinder dort ist es die Heimat. Mehrere Betreuungspersonen kümmern sich sehr professionell, aber auch durchaus zugewandt um die Kids. Margaux ist zwar selbst fast noch ein Kind mit ihren 14 Jahren, aber in diesem Sommer macht sie ihr Praktikum als Erzieherin im Kinderheim. Ihre Einstellung dazu ist – freundlich gesagt – von Desinteresse geprägt. Doch alles ist besser als im Hotelzimmer zu hocken, das sie gemeinsam mit ihrem Vater bewohnt, der ihr nicht zuhört und sich viel lieber um seine Freundin und seinen Job kümmert. Kaum im Kinderheim angekommen, lernt Margaux die kleine, wilde Juliette kennen. Nach landläufiger Meinung ließe sich Juliette problemlos als schwieriges Kind bezeichnen. Aber Juliette hat vor Kurzem ihre Mutter verloren. Ihr Vater, der sich seitdem nicht mehr blicken ließ, hat sie im Kinderheim abgeliefert. Zwischen Margaux und Juliette scheint eine unsichtbare Verbindung zu existieren, die zur Freundschaft wird, vielleicht weil sie beide ohne Mutter aufwachsen. Der Dritte im Bunde wird der junge Fischer Joël, der Juliette aus dem Wasser rettet, als sie mal eben einfach so in den See gesprungen ist, ohne schwimmen zu können. Die Drei erschaffen sich unbeobachtet von den Erwachsenen ihre eigene Wirklichkeit: ein Wasserreich, in dem Träume wahr werden können.
Jenna Hasse mischt in ihrem Kinodebüt, dessen Titel inspiriert wurde von einem Buch des Schweizer Schriftstellers Charles Ferdinand Ramuz, ihre eigene Biografie mit den Träumen junger Menschen überall auf der Welt, die sich ein erfülltes, sinnhaftes Leben in und mit der Natur wünschen und versuchen, so lange wie möglich Kind zu bleiben und ihre Freiheit zu bewahren. Die junge Regisseurin verzichtet auf Action und großes Drama ebenso wie auf offensichtlich gestellte Bilder. Stattdessen setzt sie auf eine beinahe dokumentarische, stimmungsvolle Sommeratmosphäre, die sich aufs Publikum überträgt. Hasse bleibt dicht an ihren Protagonisten und beobachtet sie mehr, als sie in Szene zu setzen. Dabei übernimmt Clarisse Moussa als Margaux die Hauptrolle. Sie zeigt das 14-jährige Mädchen als zunächst stark genervten Teenager, erfüllt von Langeweile und Lustlosigkeit, immer hart am Rande der Miesepetrigkeit und beinahe emotionslos. Doch mit der Freundschaft zu Juliette – niedlich und trotzig: Esin Demircan – verändert sie sich: Vielleicht weil sie die Ähnlichkeiten zwischen ihnen beiden sieht und fürchtet, übernimmt Margaux die Rolle einer älteren Schwester, ohne sich dessen bewusst zu sein und obwohl ihr das trotzige kleine Mädchen gleich beim ersten Ausflug wegrennt. Gemeinsam mit Joël entdecken sie die große Welt im Kleinen über die Natur und das Wasser – alles natürlich streng gegen alle Regeln und ohne Wissen der Erwachsenen. So schaffen sich die Drei ihren eigenen heimlichen Sommer, in dem sie den Zauber der Freiheit genießen.
Gaby Sikorski