Las Insoladas – Sonnenstiche

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Weihnachten in Argentinien: Das bedeutet Hochsommer, Temperaturen von 40 Grad, drohender Hitzeschlag. Unter diesen Bedingungen verbringen sechs Freundinnen einen Tag beim Sonnen und sinnieren über das Leben, Träume und Illusionen. All das zeigt Gustavo Taretto in seiner Sommer-Komödie „Las Insoladas – Sonnenstiche“, die leichtes Kino mit Subtexten ist.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Argentinien 2014
Regie: Gustavo Taretto
Buch: Gustavo Taretto, Gabriela Garcia
Darsteller: Carla Peterson, Luisana Lopialto, Marina Bellati, Elisa Carricajo, Maricel Alvarez, Violeta Urtizberea
Länge: 102 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 30. Juli 2015
 

FILMKRITIK:

Buenos Aires, 1995. Auf dem Dach eines Apartmentgebäudes inmitten der argentinischen Hauptstadt treffen sich sechs Freundinnen kurz nach Weihnachten zum Sonnenbaden: Sol (Maricel Alvarez) arbeitet in einem Fotolabor, wo sie schon mal einen Abzug von schönen Bildern für sich selbst macht. Vicky (Violeta Urtizberea) ist Friseurin, Lala (Luisana Lopialto) ist Meisterin im Fingernageldesign, Karina (Elisa Carricajo) studiert Psychologie, fühlt sich aber auch zu alternativen Erklärungsmodellen hingezogen, Valeria (Marina Bellati) arbeitet in der Telefonzentrale eines Taxiunternehmens und Flor (Carla Peterson) hat ihren Traum, Stewardess zu werden, aufgegeben und arbeitet nun in einer PR-Firma.

Am Abend wird ein Salsa-Wettbewerb stattfinden, den das Sextett unbedingt gewinnen will. Und um möglichst attraktiv zu wirken soll nun noch einmal Sonne getankt werden. Auch wenn die Temperaturen im Lauf des Tages auf über 40 Grad steigen, verlassen die Freundinnen nur selten die Sonne, ziehen von Vordach zu Vordach, immer der Sonne nach und sinnieren dabei mal auf alberne, mal auf ernsthafte Weise über das Leben. Nach und nach kristallisiert sich ein Wunsch heraus: Einmal aus dem Alltagstrott auszubrechen, einmal einen richtigen Urlaub unter Palmen, an einem weißen, paradiesischen Sandstrand zu verbringen, kurz gesagt: Einmal nach Kuba zu reisen.

Vor vier Jahren überraschte der argentinische Regisseur Gustavo Taretto mit seiner melancholischen Großstadt-Romanze „Medianeras“, in der er auf originelle Weise das Datingverhalten von modernen Städtern schilderte. Für seinen zweiten Langfilm „Las Insoladas – Sonnenstiche“ reduziert er nun den Blick und auch die Erzählzeit: Am morgen beginnt der Film, am Abend endet er, Einblendungen von Tageszeit und Temperatur unterteilen die Erzählung in Kapitel, eine episodische Struktur, in denen das nur im Bikini bekleidete Sextett nicht mehr tut als sich in der Sonne zu räkeln, mit kühlendem Wasser einzusprühen oder als äußerste Form der Bewegung mal die Position ändert.

Trotz des attraktiven Darstellerinnen-Sextetts wäre das auf Dauer eine etwas ermüdende Angelegenheit, doch Taretto hat Subtileres im Sinne, als sechs meist etwas naiv und oberflächlich dahinplappernden Frauen beim Sonnenbaden zuzusehen. Schon das er seinen Film dezidiert 1995 ansiedelt ist ein erster Hinweis: Zum einen bietet dies Gelegenheit für hübsch anachronistisch anmutende Dinge wie die ersten Handys, die eher einem Backstein entsprachen oder dem heute praktisch ausgestorbenen Beruf einer Fotolaborantin.

Vor allem aber wählt Taretto einen Zeitpunkt, an dem Argentinien gerade zwischen zwei Wirtschaftskrisen steckte, eine Phase, in der die Hoffnung auf eine Besserung der Lage bestand, die sich inzwischen, 20 Jahre später, längst zerschlagen hat. Wenn die sechs Frauen da ihren Träumen nachhängen, sich ausmalen wie es wäre, Argentinien zu verlassen, irgendwo anders ein besseres Leben zu beginnen, dann weiß vor allem der Zuschauer, dass aus diesen schönen Träumen nichts werden wird, dass die Krake Neoliberalismus Argentinien bald an den Rand eines Staatsbankrotts bringen wird, dass das Leben des Sextetts eher schwieriger, als besser werden wird. Oft drohen diese Subtexte unter der glatten, sonnendurchfluteten Oberfläche von „Las Insoladas – Sonnenstiche“ zu verschwinden, doch gelingt es, sich vom Anblick der sechs Sonnenbadenden Grazien zu lösen, offenbart sich die Illusion des schönen Scheins.
 
Michael Meyns