Leb wohl, meine Königin!

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Nicht gerade die Französische Revolution von unten, aber aus der ungewöhnlichen Perspektive einer jungen Vorleserin der Königin Marie Antoinette, erzählt Benoit Jacquot in seinem sehenswerten Film „Leb wohl, meine Königin!“ Der diesjährige Eröffnungsfilm der Berlinale überzeugt durch seine interessante Perspektive, seinen souveränen Stil, vor allem aber durch seine fast ausschließlich von starken Frauen dominierte Besetzung.

Webseite: www.capelight.de

Originaltitel: Les adieux à la reine
Frankreich 2011
Regie: Benoit Jacquot
Buch: Gilles Taurand, Benoit Jacquot
Darsteller: Léa Seydoux, Diane Kruger, Virginie Ledoyen, Xavier Beauvoix, Noémie Lvovsky, Michel Robin,
Länge: 100 Minuten
Verleih: Capelight Pictures/Central
Kinostart: 24. Mai 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Frankreich, 13. Juli 1789. Sidonie Laborde (Léa Seydoux) wird zur Königin gerufen. Ihre einzige Aufgabe am Hof: Marie Antoinette (Diane Kruger) aus sorgfältig ausgewählten Büchern vorzulesen. Nichts Kompliziertes, schon gar nichts Zweideutiges, möglichst Unverfängliches soll es sein. Im Zweifelsfall auch mal eine Art Modemagazin, ein früher Vorläufer der „Vogue“, mit Zeichnungen von Kostümen und Accessoires, mit denen sich die etwas weltfremde Königin auch in diesen Zeiten lieber beschäftigt als mit der politischen Lage, die unweigerlich auch hinter den Mauern Versailles zu spüren ist. In Paris begehren die Bürger auf, verlangen nach Veränderung: Die Revolution, der Sturm auf die Bastille steht vor der Tür, Köpfe werden rollen. Doch Benoit Jacquots Film bleibt konsequent innerhalb der mondänen Welt des königlichen Hofs und zeigt die Ereignisse aus der Perspektive der jungen, aber dennoch nicht unbedarften Hofdame Sidonie. Als Zuschauer sieht man, was sie sieht, man hört nicht mehr, als sie hört, bis auf wenige Ausnahmen, in denen der Film diesen konsequent reduzierten Blick durchbricht, um für seine Geschichte wichtige Informationen zu vermitteln.

Vier Tage beschreibt der Film, vom Vorabend der Revolution über den Sturm auf die Bastille am 14. Juli, um mit dem 16. Juli zu enden, an dem der König dem Druck des Volkes nachgibt, vor allem aber die Lieblingsfreundin der Königin, die Herzogin von Polignac (Virginie Ledoyen), fluchtartig den Hof verlässt, um der Wut der Bürger zu entgehen. Wie genau das Verhältnis zwischen der nach allen Überlieferungen atemberaubend schönen Polignac und der Königin aussah, ob sie nur gute Freundinnen oder Geliebte waren, ist umstritten. Jacquots Film deutet aus dem Blickwinkel Sidonies mehr an, als er zeigt, spielt mit den Gerüchten, die am Hof die Runde machen und benutzt die Perspektive von außen auf vielfältige Weise. Gleichermaßen fasziniert, wie vorsichtig distanziert sich Sidonie durch die Hof-Gesellschaft bewegt, der Verführungskunst sowohl männlicher Bediensteter wie auch dem geradezu lüsternen Blick der Königin ausgesetzt. Ganz unmerklich wird sie immer tiefer in die Verwicklungen des Hofs hineingezogen und lässt sich trotz der unterschwelligen Warnungen der älteren Hofdamen, die mit den Intrigen des Hofs und der Königin vertraut sind, nicht davon abhalten, sich von der Strahlkraft der Königin beeindrucken zu lassen.

Gedreht in den prunkvollen Hallen Versailles, die mit den spartanischen Quartieren kontrastiert werden, in denen niedrige Bedienstete, aber auch eine Hofdame wie Sidonie leben, wechselt Jacquot fließend zwischen den Welten, jagt mit seiner sehr modernen, fließenden Scope-Kamera durch die verwinkelten Gänge und fängt so die Energie des Hoflebens ein. Nur selten kommt der Film zur Ruhe, doch gerade in solchen Momenten wirkt Sidonie besonders gefährdet, sich in der Oberfläche des Hoflebens zu verlieren. Ihre eigenen Empfindungen und Wünsche geraten im politischen und emotionalen Wirbel jener vier Tage zunehmend in den Hintergrund, während sich Marie Antoinette bis zuletzt ihren Launen hingibt.

Meist wird so eine Geschichte von „oben“ erzählt, wie es etwa Sophie Coppola in ihrem „Marie Antoinette“ tat. Allein schon der Blick aus anderer Perspektive, den Benoit Jacquot auf die Ereignisse wirft, macht „Leb wohl, meine Königin!“ zu einem sehenswerten Film, in dem zudem ausnahmsweise einmal die Frauen den Lauf der Geschichte bestimmen und nicht die ihnen ergebenen Männer.

Michael Meyns

Paris/Versailles, 14. – 17.Juli 1789. In der Hauptstadt bewaffnet sich das Volk und stürmt die Bastille, das berühmt-berüchtigte Pariser Gefängnis. In Versailles, 40 Kilometer entfernt, läuft im Königsschloss das Leben zunächst weiter. Dutzende von Bediensteten versehen ihre Arbeit: Freundinnen der Königin Marie-Antoinette, Hofdamen, Frauen, Männer, Übergeordnete, Untergeordnete. Jeder hat seine Funktion und sei sie noch so unbedeutend.

Sidonie Labode beispielsweise ist die Vorleserin der Königin. Jeden Morgen nach dem Aufstehen liest sie aus der reichhaltigen Bibliothek der (österreichischen) Gemahlin Ludwigs XVI. dieser etwas vor.

15.7. Langsam dringt das Gerücht durch, der Pöbel habe die Bastille gestürmt. In den Unter- und Nebengeschossen, wo sich das zwangsläufig höfisch-elegant gekleidete Personal aufhält, wird es unruhig. Manche, die schon vorher intrigierten, einander die Position neideten oder Halbwahrheiten über zahlreiche sexuelle Beziehungen verbreiteten, tendieren dazu in der beginnenden Aufregung noch mehr.

Die ersten Pläne werden geschmiedet, Fluchtvorbereitungen getroffen. Auch der König werde Versailles verlassen, wird gesagt. Marie-Antoinette lässt packen, es heißt, sie werde sich nach Metz absetzen. Daraus wird dann jedoch nichts. Der König versucht nämlich zu retten, was politisch zu retten ist. Die Königin muss also mit den Kindern noch in Versailles bleiben.

Ihre Freundin will Marie-Antoinette aber unbedingt vor der Gefangenschaft oder Verurteilung bewahren, sie nicht in die Hände der Revolutionäre fallen lassen. Die Flucht in die Schweiz wird veranlasst. Sidonie muss in die Maske der Königsfreundin schlüpfen, diese steigt als Magd in die Kutsche, ihr Mann als Page. Die Königin war mit ihrer Vorleserin immer sehr freundschaftlich umgegangen; jetzt verlangt sie dieses Opfer.

Wird alles gut gehen?

Die Revolution von 1789. Im Film kein Volksaufstand, kein Gejohle, keine Soldaten, keine Massenzusammenrottungen, keine Kämpfe . . .

. . . dafür jedoch in den Versailler Schlossanlagen Unruhe, Gerüchte, geschäftiges aber mysteriöses Treiben, Gruppierungen von Bediensteten, Wortfetzen, Missverständnisse, Angst, ein erster Selbstmord, Flucht, Panik, Chaos.

Alles direkt und persönlich erlebt von der Vorleserin Sidonie Laborde, filmisch präzise beobachtet, scheinbar lässig, in Wirklichkeit aber spannend inszeniert, historisch auf jeden Fall interessant, menschlich nachvollziehbar, von der Betrachtungsweise des geschichtlich umwälzenden Geschehens her originell, die vielen handelnden Personen impressionistisch aber gut zeichnend und nicht zuletzt hervorragend gespielt, insbesondere von Léa Seydoux als Sidonie sowie Diane Kruger als Marie-Antoinette.

Thomas Engel