Legend

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In den 1960er-Jahren herrschten die Kray-Brüder beinahe wie Könige über das berüchtigte Londoner East End. Ihre schillernden Persönlichkeiten eignen sich ebenso wir ihre Gangster-Karrieren nur zu gut als Vorlage für ein blutiges, temporeiches Crime-Drama. Genau diese Richtung schlägt Brian Helgelands Film ein, der vor allem als Starvehikel für Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“) in einer Doppelrolle überzeugt.

Webseite: www.legend-derfilm.de

Legend
GB/F 2015
Regie & Drehbuch: Brian Helgeland
Kamera: Dick Pope
Darsteller: Tom Hardy, Emily Browning, David Thewlis, Christopher Eccleston, Taron Egerton, Tara Fitzgerald
Laufzeit: 131 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 7.1.2016

FILMKRITIK:

London in den Swinging Sixties. Während von der Insel britische Beat-Musik und Bands wie die Beatles die Welt erobern, erobern zwei Zwillingsbrüder das berüchtigte Londoner East End. Rund um die Bethnal Green Road herrschen die beiden Ex-Boxer Reggie (Tom Hardy) und Ron (noch mal Tom Hardy) Kray mit harter Hand aber einem zugleich durchaus einnehmenden Wesen. Sie sind ebenso beliebt – vor allem bei den einfachen Leuten – wie gefürchtet. Schutzgelderpressung, Bestechung, illegales Glückspiel für die Krays gehört das alles zu ihrem täglichen Geschäft. Sie betreiben Nachtclubs, Bars und später sogar ein Casino, in dem auch die Londoner Prominenz gerne zu Besuch ist. Während Reggie in der schönen Frances (Emily Browning) scheinbar die Liebe seines Lebens findet, lebt Ron seine Homosexualität für die damalige Zeit sehr offen aus. Seine psychischen Probleme hat er, der 10 Minuten jüngere der Brüder, immer öfter kaum mehr unter Kontrolle. Als Reggie für sechs Monate im Gefängnis einsitzt, treibt Ron die Bars und das eigene Casino fast in den Ruin.
 
Den Aufstieg und späteren Fall der Kray-Zwillinge haben schon zahlreiche Filme beleuchtet. In Erinnerung bleibt vor allem Peter Medaks „The Krays“ mit Martin und Gary Kemp (Spandau Ballet) in den Hauptrollen. Die neue Filmversion von „L.A. Confidential“-Drehbuchautor Brian Helgeland setzt jedoch andere Schwerpunkte. So blendet der Film die Kindheit und Jugend der Zwillinge komplett aus. Auch die bei Medak zentrale Beziehung zu ihrer Mutter bleibt bei Helgeland eher eine Randnotiz. Stattdessen schmeißt er sein Publikum ohne lange Vorrede in das pulsierende Leben zwischen East End und Soho, beleuchtet die meist illegalen Geschäfte des Brüderpaars und ihre Verwicklungen in die bessere Gesellschaft, zur Politik und dem organisierten Verbrechen jenseits des Atlantiks. Natürlich ist ihnen bei alledem die Polizei dicht auf den Fersen. Ein ehrgeiziger Ermittler (Christopher Eccleston) wird zum mal mehr, mal weniger unsichtbaren Begleiter der Krays.
 
Auch ansonsten ähnelt die Dramaturgie der des klassischen amerikanischen Mobfilms. Dass Helgeland ein großer Fan von Martin Scorseses „Good Fellas“ ist, glaubt man sofort. Die üppigen Dekors und eleganten Kamerafahrten durch die Londoner Straßen und Bars bieten reichlich Augenfutter. Zeitweilig erscheint „Legend“ mehr wie ein Period Piece mit vereinzelten Genreelementen. Dem Film nur deswegen bereits Oberflächlichkeit zu unterstellen, greift jedoch zu kurz. Immerhin sind auch Helgelands US-Vorbilder stets um eine perfekte Optik bemüht. Schwieriger ist schon das recht enge Korsett, dessen Gangster-Cop-Plot kaum Überraschendes anzubieten hat. Im Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Krays, ihrer gleichsam rücksichtslosen Konkurrenz aus dem Süden und der Polizei büßt „Legend“ zwar nie seinen Unterhaltungswert ein – Helgeland hält das Erzähltempo erkennbar hoch –, dafür entwickelt die Geschichte abseits ihres ungewöhnlichen Protagonisten-Duos keine eigene Handschrift.
 
Dem Anspruch, den Krays auf Augenhöhe zu begegnen und sie weder zu glorifizieren noch als dämonische Zerrbilder darzustellen, wird Helgelands historische Milieustudie nur bedingt gerecht. So ist die Faszination für den Gentleman-Gangster Reggie und seinen psychisch höchst instabilen Bruder von Beginn an spürbar. Ein furios aufspielender Tom Hardy lässt dazu kaum Platz für andere Akteure. Einzig David Thewlis’ Rolle des Consigliere bleibt nachhaltig in Erinnerung. Hardy wiederum liefert als Reggie seine schauspielerisch eindrucksvollsten Momente ab. Neben seiner physischen Präsenz, die zuletzt auch in „Mad Max: Fury Road“ deutlich wurde, nutzt der Brite seine markante Stimme für die glaubhafte Verkörperung des Cockney-Emporkömmlings. Als Ron steht ihm hingegen seine auffällige Gesichtsprothese bisweilen im Weg. Wie schmal der Grat zwischen der Verkörperung des Wahnsinns und bloßem Overacting ist, auch das zeigt „Legend“.
 
Warum es Helgeland sowohl in der Darstellung von Rons Homosexualität als auch von dessen beängstigenden Gewaltausbrüchen bei Andeutungen belässt, liegt auf der Hand. Alles andere hätte die Vermarktbarkeit des Films zu sehr eingeschränkt. Der Kniff, die Erzählperspektive mittels Voice Over auf Reggies Frau Frances zu verlagern, ist dagegen zweifellos originell. Es ist ein neuer Akzent im Genre, dem allerdings die letzte Konsequenz fehlt. So bleibt es bei einem Versuch und dem Eindruck, dass hier ein Film sein großes Potenzial lediglich teilweise abruft.
 
Marcus Wessel