Mit über 90 Jahren hat Edgar Reitz, einer der großen deutschen Autorenfilmer, noch einmal einen Film gedreht: „Leibniz – Chronologie eines verschollenen Bildes“ erzählt nah an der historischen Realität, aber doch ganz frei von einigen Tagen im Leben des Universalgenies Gottfreid Wilhelm Leibniz und dem Versuch, sein Bildnis zu schaffen – ein Versuch, den auch Reitz mit seinem Film wagt und gewinnt.
Über den Film
Originaltitel
Leibniz
Deutscher Titel
Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes
Produktionsland
DEU
Filmdauer
104 min
Produktionsjahr
2025
Produzent
Fliess, Ingo / Reitz, Christian
Regisseur
Reitz, Edgar / Schuster, Anatol (Co-Regie)
Verleih
Weltkino Filmverleih GmbH
Starttermin
18.09.2025
Deutschland, Anfang des 18. Jahrhunderts. Seit Jahren bewundert Charlotte, Königin von Preußen (Antonia Bill), den großen Intellektuellen und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge). Sie unterstützt Leibniz soweit es in ihrer Macht steht, diskutiert mit ihm, doch ein Wunsch ist bislang unerfüllt: Ein Gemälde des Denkers soll erstellt werden, damit Charlotte im Berliner Schloss Charlottenburg stets seine Nähe spüren kann.
Nun hat Charlottes Mutter, Kurfürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa), den Hofmaler Delalandre (Lars Eidinger) eingeladen, ein von sich und seiner Kunst mehr als überzeugter Mann, dessen Werke zu Hof geschätzt werden. Doch in Leibniz stößt Delalandre auf einen Mann, der nicht gewillt ist, einfach still Porträt zu sitzen, sondern über Sinn und Unsinn des Porträts, des Versuches, ein Abbild zu schaffen, diskutieren möchte. Zuviel für den Maler, der bald den Pinsel hinwirft und wutentbrannt das Schloss verlässt.
Ganz anders Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz), eine junge Frau, die sich meist als Mann ausgibt, um überhaupt die Chance zu haben, in diesem Männerberuf zu reüssieren. Sie hat die Sympathien der Königsmutter und auch Leibniz findet bald gefallen am künstlerischen Ansatz van de Meers, deren Versuch, das Licht zum Teil des Gemäldes machen, Anlass für tiefsinnige Diskussionen werden.
Schon seit Jahren hatte Edgar Reitz, mit seinen „Heimat“-Filmen großer Chronist Deutschlands im 20. Jahrhundert und darüber hinaus, den Plan, einen Film über Gottfried Wilhelm Leibniz zu drehen. Etliche Drehbuchentwürfe schrieben Reitz und sein Co-Autor Gert Heidenreich, die sich mal dem ganzen Leben Leibniz widmen wollten, schließlich jedoch auf den dramaturgischen Kniff verfielen, sich an klassischen dramatischen Prinzipien zu orientieren und ihre Geschichte fast nur einem Ort und in sehr reduzierter Zeit zu erzählen.
Was fraglos auch der Schwierigkeit geschuldet war, den Film eines über 90jährigen zu finanzieren, der sich zudem mit einem zwar faszinierenden, aber auch spröden Thema beschäftigt, erweist sich als künstlerischer Glücksgriff. In prägnanten Szenen und dichten Dialogen (bei denen man sich des Öfteren Fußnoten wünschen würde) lässt Reitz das Denken Leibniz aufscheinen, deutet seine philosophische Strenge an, den Versuch, mit geradezu mathematischen Deduktionen philosophische Schlussfolgerungen anzustellen und verweist sogar auf einen weiteren Zweig des Leibnizschen Denkens: Ähnlich wie Leonardo da Vinci, ein anderer Universalgelehrter, versuchte sich auch Leibniz als Erfinder, stellte Überlegungen zu einer Art U-Boot an oder baute eine Form von Rechenmaschine. Übrigens: Den gleichnamigen Butterkeks erfand Leibniz zwar nicht, er diente der Firma Bahlsen aber tatsächlich als Namensgeber.
Auch wenn sich Reitz Film oft anfühlt wie ein Theaterstück, das Atelier, in dem das Bild entsteht (das der Zuschauer übrigens nie zu sehen bekommt), nur gelegentlich verlassen wird, ist das Ergebnis dennoch durch und durch ein Film, der zwar von Dialogen geprägt ist, aber wie vom Licht der Aufklärung erleuchtet wirkt. Und der zudem die zentrale Frage seines Sujets auf selbstreflexive Weise thematisiert: Wie nah kann ein Abbild der Vorlage kommen? Wie kann es gelingen, einen Menschen, auf die Leinwand zu bringen, auf die eines Gemäldes, aber auch auf die Kinoleinwand. Wie Reitz in „Leibniz – Chronologie eines verschollenen Bildes“ zeigt, braucht es dafür wenig mehr als einen Raum, spielfreudige Schauspieler und einen klugen Regisseur.
Michael Meyns