L’Immensita

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Es ist sehr viel, das Emanuele Crialese in seinen Film packt, insbesondere auch angesichts einer Laufzeit von weniger als 100 Minuten. Damit hat er aber auch Schwierigkeiten, die Figuren charakterlich auszuformen – bei manchen funktioniert es besser, als bei anderen, letztlich hat man aber das Gefühl, deren Handeln verstehen zu können. Der Kern der Geschichte ist die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern im Rom der 1970er Jahre.

Website: https://prokino.de/movies/details/L_Immensita

L’Immensita
Italien / Frankreich 2022
Regie: Emanuele Crialese
Buch: Emanuele Crialese, Francesca Manieri, Vittorio Moroni
Darsteller: Penélope Cruz, Vincenzo Amato, Luana Giuliani
Länge: 99 Minuten
Verleih: Prokino Filmverleih
Kinostart: 27. Juli 2023

FILMKRITIK:

Rom in den 1970er Jahren: Clara (Penélope Cruz) liebt ihre Kinder und würde für sie auch alles tun. Ihren Mann liebt sie nicht mehr wirklich. Er ist ein Trinker, er ist gemein, und auch übergriffig – kein Mann, der ihr Leben bereichern würde. Der aufbrausende Mann versteht auch seine Tochter Ari nicht, die ein Junge sein möchte. Ari wiederum lernt ein Mädchen kennen, hadert aber damit, dass er nicht sein kann, wie er sich fühlt.

Emanuele Crialese hat mit „L’Immensita“ eine autobiographische Geschichte gestaltet. Pünktlich mit der Veröffentlichung des Films gab er auch bekannt, dass er als Mädchen geboren worden war, die Geschlechtsumwandlung aber längst hinter sich hat. Weil es seine Geschichte ist, die er hier erzählt, ist die Figur Ari wohl auch die, die am stärksten ausgearbeitet ist. Wenn Ari sich vor dem Spiegel ansieht, aber nicht mag, was er sieht, dann ist das ein emotionaler Moment, den man als Zuschauer spürt. Bei vielen anderen Figuren ist die Nachvollziehbarkeit jedoch weniger gegeben.

Sie wandeln alle irgendwo im Zwischenreich von echten und konstruierten Menschen. Ihr Handeln bleibt oft etwas diffus, auch und gerade in Hinblick auf Penélope Cruz‘ Figur. Aber die lebt immerhin von der immensen Präsenz der spanischen Schauspielerin, die hier wie eine junge Sophia Loren anmutet. Die Kinder sind mit Laien besetzt – das merkt man zum Teil auch. Aber Luana Giuliani als Ari ist eine Entdeckung. Sie spielt nicht besonders ausdrucksstark, die Verwirrung über die eigene Körperidentität bringt sie aber glaubhaft rüber.

Technisch gesehen ist „L’Immensita“ hervorragend gemacht. Die Bilder sind ausdrucksstark, die Kamera lebendig, die Farben eindringlich – nur erzählerisch bleibt das Ganze zu holprig, auch und gerade, wenn Crialese versucht, etwas zu wagen. So fügt er immer wieder Phantasie-Sequenzen ein, in denen Clara und ihre Kinder tanzen. Die sehen für sich betrachtet sehr schön aus, tragen zur Geschichte aber nichts Essenzielles bei.

„L’Immensita“ ist damit ein zwiespältiger Film. Keineswegs schlecht, aber erdrückt von der Last der vielen Themen, die in zu kurzer Zeit abgehandelt werden. Der komplette Themenkomplex eines patriarchalischen Systems wird überhaupt nur gestreift – einerseits in Claras Ehe, aber auch wenn sie auf offener Straße belästigt wird. Mehr wäre bei diesem Film wirklich mehr gewesen. Eine längere Laufzeit hätte ihm Raum zur Entfaltung gegeben.

Peter Osteried