Lincoln

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Mit dem packenden Politdrama „Lincoln“ wirft Regielegende Steven Spielberg einen realistischen Blick auf die legendäre US-Präsidentenikone. Souverän verleiht der Altmeister dem Denkmal menschliche Züge. Der zweifache Oscarpreisträger Daniel Day-Lewis verkörpert Lincoln als einen Mann, der verführt, tobt, schmeichelt und sogar lügt, um die Sklaverei endgültig zu bekämpfen. Vor allem seine Oscar-reife schauspielerische Glanzleistung verwandelt das epische Kammerspiel in einen aufregenden Thriller.

Webseite: www.lincoln-derfilm.de

USA 2012
Regie: Steven Spielberg
Buch: Tony Kushner
Kamera: Janusz Kaminsky
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee Jones, Joseph Gordon-Levitt, Gloria Reuben,Thaddeus Stevens, Colman Domingo, David Oyelowo, David Strathairn, Walton Goggins, Bruce McGill, John Hawkes, Hal Holbrook, James Spader
Länge: 145 Minuten
Verleih: Century Fox
Kinostart: 24.1.2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Washington, Januar 1865: Die letzten blutigen Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs werden geschlagen. Präsident Lincoln und die Nordstaaten haben eigentlich schon gewonnen. Die Kapitulation der Südstaaten steht unmittelbar bevor. Jetzt muss nur noch die Verfassung geändert werden, um die Sklaverei für alle Zeiten zu ächten. Für Lincoln (Daniel Day Lewis) beginnt so ein zähes Ringen mit Kabinettsmitgliedern, Senat und Repräsentantenhaus. Der Präsident kämpft um jede Stimme, nicht nur unter seinen politischen Gegnern, den Demokraten. Denn selbst im Norden gibt es zahlreiche Politiker, die Schwarze immer noch als minderwertig betrachten. Die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit scheint unerreichbar. Auch sein Außenminister William Seward (David Strathairn) ist skeptisch.

In dieser Zwickmühle lässt der leidenschaftliche Staatschef drei Schattenmänner, abgebrühte Insider, nachhelfen. Hinter den Kulissen setzt der hagere Visionär mit dem zerklüfteten Gesicht die ganze Maschinerie Washingtons in Bewegung, um das Gesetz durchzukriegen. Er droht, verführt, tobt, schmeichelt und lügt sogar. Tatkräftig unterstützt wird er nicht zuletzt vom einflussreichen republikanischen Kongressabgeordneten, Rechtsanwalt und glühenden Gegner der Sklaverei Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones). Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis lässt den weitsichtigen und doch innerlich zerrissenen Mann in allen Facetten aufleben. Lincoln kann herzlich, aber auch herrisch sein. Schlau und raffiniert, unnachgiebig hart und zugleich melancholisch, wenn er um seinen elfjährig verstorbenen Sohn Willie trauert.

Steven Spielbergs Biopic über die letzten Monate der amerikanischen Präsidentenikone präsentiert sich als episches Kammerspiel mit pointierten Dialogen und herausragenden Charakterdarstellern, darunter Sally Field als glücklose „First Lady“. In Dramaturgie, Kulissen und expressiver Lichtsetzung wirkt seine Hommage an den charismatischen Politiker wie hervorragendes Theater mit aufgeladenen Konfrontationsszenen. Dialoge werden nicht einfach im klassischen Schuss-Gegenschuss-Verfahren aufgelöst. Bewusst holt die Regielegende dabei den Mythos Lincoln vom Sockel, um das Denkmal menschlicher werden zu lassen. Denn der Marmorkoloss des Sklavenbefreiers hinter den dorischen Säulen im Washingtoner Lincoln Memorial war ihm schon als Sechsjährigen nicht geheuer. „Mir graute vor ihm, ich konnte ihm nicht sofort ins Gesicht schauen“.

Jenseits von Heldenposen verkörpert nun der Ausnahmeschauspieler Daniel Day-Lewis die bisher unbekannte Seite des Abraham Lincoln: eines pragmatischen Taktierers, der mit seinen Gegnern riskante Allianzen schmiedet, um sein Herzensanliegen, das Verbot der Sklaverei, in der Verfassung zu verankern. Der Schauspielgigant spielt seine Rollen freilich nicht, er lebt sie. Der Londoner ist bekannt für seine absolute Hingabe an Charaktere, die er verkörpert. Die unermüdliche Arbeit an der Authentizität seiner Filmfiguren ermöglicht es ihm, selbst einige außergewöhnliche Fähigkeiten zu erlernen. So lebte der Ire für die Vorbereitung auf seine Rolle in „Der letzte Mohikaner“ monatelang abgeschieden in der Wildnis, lernte zu jagen und Tiere zu häuten und war während der Dreharbeiten nie ohne sein Gewehr unterwegs.

Erstmals fiel der etwas melancholisch wirkende Day-Lewis Mitte der 80er Jahre in zwei tragenden Rollen auf, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: in Stephen Frears „Mein wunderbarer Waschsalon“, als Punk , der sich vom Thatcherism nicht unterkriegen lässt und im Kontrast dazu als snobistischer englischer Landedelmann in James Ivorys „Zimmer mit Aussicht“. Nach diesem fulminanten Einstieg spielte er den gelähmten Autor Christy Brown in „Mein linker Fuß“. Für diese Meisterleistung bekam der Gigant der Schauspielkunst seinen ersten Oscar. Seinen zweiten Oscar erhielt er für seine Berserker-Performance als Öl-Magnat in Paul Thomas Andersons düsterem Epos „There Will Be Blood“. Ein dritter Oscar scheint ihm nun zu recht sicher zu sein. Damit schreibt der Mann dann Geschichte. Denn er wäre der erste männliche Darsteller mit drei Hauptrollen-Oscars.

Luitgard Koch

19.Jahrhundert. 60er Jahre in Amerika. Bürgerkrieg. Die Sklaverei ist noch in vollem Gange. Die Südstaaten-Großfarmer denken gar nicht daran, ihre Besitzrechte, wie sie glauben, aufzugeben. Tausende von Soldaten, Nord- oder Südstaatler, sind schon gefallen.

Präsident Lincoln beginnt seine zweite Amtszeit. Einen Sohn hat er im Krieg bereits verloren. Seine Ehe ist eine liebevolle aber umkämpfte Angelegenheit. Er ist ein besonnener, geradezu weiser, Ruhe bewahrender Mann. Doch die Entscheidungen, die er tagtäglich treffen muss, sind eine schwere Bürde.

Lincoln will unter allen Umständen die Sklaverei abschaffen. Doch er hat keine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Die Gegner argumentieren, dass es eine Katastrophe wäre, wenn vier Millionen Schwarze auf einmal frei würden. Sie sind völlig einem traditionellen Gedankengut verhaftet. Dass Weiße und Schwarze den gleichen menschlichen Rang haben sollen, dass Letzteren die gleichen Rechte zustehen würden, ist für sie völlig undenkbar.

Lincoln denkt politisch, rechtlich und moralisch. Aber wie gesagt, wie soll er ohne parlamentarische Mehrheit den nötigen Verfassungs-Zusatzartikel durchsetzen? Die Lage ist auch insofern für ihn „ungünstig“, als der Krieg vor dem Ende steht, die Nordstaaten ihn gewinnen werden und der Sieg auch ohne Abschaffung der Sklaverei zu kriegen wäre.

Der Präsident muss also schnell handeln. Er schickt seine besten Leute aus. Sie müssen unter allen Umständen die paar nötigen Stimmen mobilisieren, die zur Mehrheit noch nötig sind. Überredung, Täuschung, Versprechungen, Lügen, Beschönigungen, Zwang – spielt keine Rolle. Korrekt ist das vielleicht nicht, aber nützlich.

Lincoln gewinnt die Abstimmung. Die Sklaverei ist am Ende. Der Süden muss sich fügen.

Spielberg zieht hier alle Register. Wie die Tage vor der Abstimmung abliefen; wie das parlamentarische Milieu eingefangen wurde; wie heftig die Wortkämpfe waren; was für den Süden auf dem Spiel stand; wie die Gegner sich hassten; wie mörderisch die Kämpfe waren und wie unendlich hoch die Menschenverluste (600 000); wie politisch getrickst und getäuscht wurde; wie die Epoche filmisch eingefangen wurde; wie neben Lincolns öffentlichem Kampf auch noch das private Ringen ablief – das alles wird (vor allem für Amerikaner) beispiellos und so gut wie historisch korrekt geschildert und auseinandergesetzt. Eine tolle Regie- und Teamleistung. Und ein geschichtliches Lehrstück.

Viele Akteure sind dabei, die ihre Rolle gut darstellen und ihre damalige gesellschaftspolitische Position vertreten (z.B. Sally Field als Lincolns Gattin Mary Todd, Tommy Lee Jones als Thaddeus Stevens, David Strathairn als Staatssekretär William Seward oder Hal Holbrook als Preston Blair). Am überragendsten jedoch spielt Daniel Day-Lewis, der den Präsidenten verkörpert. Er ist überzeugend, gescheit, politisch souverän, menschlich einnehmend. Besser geht’s nicht.

Thomas Engel