Loro – Die Verführten

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Vor zehn Jahren nahm er sich Giulio Andreotti vor, nun ist dessen Nachfolger Silvio Berlusconi dran: „Loro“ heißt der zweieinhalb Stunden lange Film, den Paolo Sorrentino über den italienischen Medienmogul, Ministerpräsidenten und skandalumwitterten Berlusconi gedreht hat, oft ein Rausch an Bildern und Exzessen, aber auch unstrukturiert und ziellos.

Webseite: dcmworld.com

Italien 2018
Regie: Paolo Sorrentino
Buch: Umberto Contarello & Paolo Sorrentino
Darsteller: Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio, Kasia Smutniak, Euridice Axen, Fabrizio Bentivoglio, Roberto De Francesco, Dario Cantarelli
Länge: 145 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 15. November 2018

FILMKRITIK:

Silvio (Toni Servillo) ist nicht mehr Ministerpräsident. Doch im italienischen Politikgeschäft, in dem die Posten oft so schnell wechseln wie beim Bäumchen-Wechsel-dich Spiel bedeutet das nicht viel. Und so plant Silvio schon die Meuterei gegen die aktuelle Regierung, versucht Abgeordnete auf seine Seite zu bringen und zu intrigieren und vergisst dabei nicht das, was ihm am meisten Vergnügen zu bereiten scheint: Mondäne, ausschweifende Partys in seiner Villa auf Sardinien, auf denen zahllose junge, leicht bekleidete Schönheiten um seine Gunst buhlen, sehr zum Unwillen seiner xten Ehefrau Lario (Elena Sofia Ricci).
 
Das Verlangen Silvios nach einem nie versiegenden Fluss junger Frauen ruft auch den schmierigen Zuhälter Sergio (Riccardo Scamarcio) auf den Plan, der in der italienischen Gesellschaft aufsteigen und Karriere machen möchte. Um Silvios Aufmerksamkeit zu erregen, mietet er auf Sardinien, in Sichtweise von Silvios Villa ein Anwesen und lädt dutzende junger, williger Frauen ein, die sich präsentieren sollen, um Sergio den Einstieg in Silvios Welt zu ermöglichen.
 
Hieß Paolo Sorrentions Film über den zutiefst umstrittenen Giulio Andreotti noch „Il Divo – Der Göttliche“ - natürlich ironisch gemeint – schmückt die vorgebliche Hauptfigur seines neuen Films noch nicht einmal den Titel. Mit „sie“ lässt sich „Loro“ übersetzen, womit die Menschen gemeint sind, die Silvio umschwirren, die ihn bewundern, die ihn trotz allem immer wieder zu ihrem Ministerpräsidenten gewählt haben, also weite Teile der italienischen Gesellschaft.
 
Silvio (der im Film nie Berlusconi genannt wird) steht somit zwar im Mittelpunkt dieses Films, ist aber nur bedingt sein Zentrum. Gut 45 Minuten dauert es in dieser internationalen Fassung des Films, der in Italien als Zweiteiler ins Kino kam, dann auch, bis Silvio selbst auftaucht. Bis dahin war nur von ihm die Rede, schwebt er über den Ereignissen, bestimmte er das Tun seiner Mitbürger, auch ohne selbst in Erscheinung zu treten.
 
Ein interessanter Ansatz könnte das sein, die Verführung, die Berlusconi auf die italienische Gesellschaft auslöst, zu untersuchen, zu zeigen, wie der Wunsch nach dem Süßen Leben, voller Reichtum und Exzessen, die Phantasie der Italiener beflügelt und ihr Urteilsvermögen außer Kraft setzt, doch Sorrentino will viel mehr.
 
Wenn sich sein Film bald immer mehr auf Silvio konzentriert, seine Psyche zu analysieren sucht, wird er oft etwas schlicht, macht es sich zu einfach in der Anklage seiner Hauptfigur. Vielleicht ist im Laufe der Jahrzehnte, die Berlusconi nun schon in der Öffentlichkeit steht, auch einfach schon zu viel über ihn gesagt und geschrieben, seine Schwächen durchleuchtet worden, als dass da jetzt noch etwas kommen könnte.
 
Toni Servillo, der mit dicken Make-Up wirkt wie eine Karikatur Berlusconis, liefert zwar erneut eine brillante Performance ab, doch um ihn herum hat Sorrentino diesmal zu wenig entstehen lassen. Lose Szenen reiht er aneinander, die immer berauschend gefilmt sind und manchmal auch pointierte Kommentare zu Silvio und den Seinen abgeben, die sich als Ganzes jedoch nur bedingt zu der Dekonstruktion einer amoralischen Gesellschaft formen, die wohl die Intention war.
 
Michael Meyns