Eine feine Komödie mit viel Herz und wunderbaren Bildern aus dem Himalaya – die Geschichte eines Lehrers, der angesichts der majestätischen Bergwelt sein persönliches “Bruttosozialglück” findet. Der bekannten Story vom verwöhnten Großstadtschnösel, der in der Abgeschiedenheit der Natur geläutert wird, verleiht Pawo Choyning Dorji seinen ganz eigenen Touch, irgendwo zwischen buddhistischer Gelassenheit und handfester Zeitgeistkritik, ohne Heimatkitsch und Pathos, aber dafür mit einer großen Portion Humor.
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Lunana
Bhutan, China 2021
Buch und Regie: Pawo Choyning Dorji
Darsteller: Sherab Dorji, Ugyen Norbu Lhendup, Pem Zam, Kelden Lhamo Gurung
Länge: 109 min.
Verleih: Kairos
Kinostart: 13.1.2022
FILMKRITIK:
Ugyen hat einen Traum: Er will aus Bhutan nach Australien auswandern. Das Visum ist schon beantragt, doch zuerst muss Ugyen seine Lehrerausbildung abschließen. Dafür fehlt ihm noch ein Jahr, und das soll er nun ausgerechnet ganz oben in den Bergen verbringen. Alle Proteste sind nutzlos, widerwillig macht sich Ugyen auf die Reise. Von der letzten Busstation wird er abgeholt. Von hier aus sei es nur noch ein kleiner Bummel den Fluss entlang, sagen Ugyens beide Begleiter, die ihn auf diese Weise gleich mit dem Humor der Bergvölker bekannt machen. Denn der kleine Spaziergang entpuppt sich als hyperanstrengender Treck über Stock und Stein.
Sogar hier oben, in der majestätischen Bergwelt, interessiert sich Ugyen mehr für seinen IPod als für seine Begleiter oder für die Landschaft. Am Ziel angekommen, in dem winzigen Dorf Lunana, wird Ugyen aufs Herzlichste begrüßt. Am liebsten würde er sofort wieder umkehren. Doch irgendetwas hält ihn davon ab: vielleicht sind es die erwartungsvollen Gesichter der Kinder oder die Tatsache, dass erst einmal niemand da ist, der ihn beim Abstieg ins Tal begleiten könnte. Die Schule ist eine verrottete Ruine, sein Zimmer eine verdreckte Bruchbude, durch die der kalte Wind pfeift. Immerhin gibt es ab und an mal Strom, man weiß nur nicht, wann. Ein Mobilnetz ist ohnehin überflüssig, weil man die Handys nicht aufladen kann.
Doch bald erweist sich der verwöhnte Städter als Improvisationstalent. Er richtet den Klassenraum wieder her, bastelt sich Unterrichtsmaterial und zeigt den Kindern, wie viel Spaß das Lernen macht. Er sammelt und trocknet seinen Yakmist selbst, um damit Feuer zu machen, und er macht die Bekanntschaft von Saldon, die den traditionellen Gesang beherrscht. Zwischen den beiden entwickeln sich zarte Bande, die jedoch davon überschattet werden, dass Ugyen das Dorf bald wieder verlassen muss.
Pawo Choyning Dorji nimmt das altbekannte Motiv vom arroganten Stadtmenschen, der durch das einfache Leben in der Bergeinsamkeit geläutert wird, und mixt es auf vergnüglichste Weise mit vielen Aspekten, die seine Komödie auch für ein größeres Publikum interessant machen. Da ist zunächst einmal der liebenswerte Hauptdarsteller (Sherab Dorji), der tatsächlich noch an die Wand gespielt wird von einem bezaubernden kleinen Mädchen: Pem Zam als Klassensprecherin der Dorfschule versprüht einen absolut umwerfenden Charme, der weniger mit Niedlichkeit zu tun hat als mit einer unfassbaren Leinwandpräsenz. Gut ausgewählt sind aber auch die anderen Rollen, so Kelden Lhamo Gurung als Saldon, die stille, schöne Sängerin. Nicht nur die Kinder, sondern auch die übrigen Dorfbewohner sind zumeist Laiendarsteller, was dem Film zusätzlich einen ganz eigenen Charakter und einen sehr freundlichen Humor verleiht. Hier treffen sich Dokumentation und Spielfilm zu einem durchaus realistischen Eindruck.
Das harte und entbehrungsreiche Leben im Himalaya wird jedoch glücklicherweise weder romantisiert noch dramatisiert. Das ist auch nicht nötig – die Unterschiede zur Großstadt im Tal sind deutlich genug. Kultur und Religion verbinden sich zu einem geschlossenen Bild, was sich zum einen in der gelassenen Bildsprache, zum anderen auch in der Selbstverständlichkeit äußert, mit der die Dorfbewohner ihre Rituale in den Alltag einbetten.
Dabei spart Pawo Choyning Dorji nicht mit diskreten ironischen Verweisen auf den westlichen Way of Life und seine verwöhnten Anhänger, ohne dass er dabei gänzlich die Probleme vernachlässigt, die sich aus der Lebenssituation in den Bergen ergeben. Das „Bruttonationalglück“, das im Film erwähnt wird, gehört übrigens tatsächlich zu den Zielen, die sich der kleine Staat Bhutan für seine Bewohner gesetzt hat. Dennoch oder, besser gesagt, angenehmerweise verzichtet Pawo Choyning Dorji auf ein plattes Happy End. Insgesamt überwiegt eine positive und heitere Grundstimmung, die durch die atemberaubend schönen Landschaftsaufnahmen noch befördert wird.
Gaby Sikorski