LunchBox

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Es ist ein wahnwitziges Meisterwerk der Logistik: Täglich liefern über 4.500 Kuriere per Rad und Bahn rund 200.000 Lunchpakete in Mumbai aus. Die Zuverlässigkeit liegt, trotz chronischem Verkehrschaos, bei superlativen 99,99 Prozent! Statistisch geht nur einer von 6 Millionen Essensbehältern verloren. Genau dieser winzige Fehler im System wird in der deutsch-indischen Koproduktion zum Auslöser einer charmant märchenhaften Lovestory. Das köstliche Menü, das ein Witwer versehentlich geliefert bekommt, lässt ihn Gefühle für die ahnungslose Köchin entwickeln. Seine Komplimente, auf Zettelchen ins Rückgabe-Geschirr gelegt, spornen die vernachlässigte Ehefrau an: Liebe geht eben durch den Magen. In Cannes avancierte die kulinarische Feelgood-Komödie zum Festivalliebling - sie dürfte auch im Kinoalltag die Geschmacksnerven des Publikums treffen.

Webseite: www.lunchbox-derfilm.de

Deutschland / Indien / Frankreich 2013
Regie: Ritesh Batra
Darsteller: Irrfan Khan, Nimrat Kaur, Nawazuddin Siddiqui, Denzil Smith, Bharati Achrekar, Nakul Vaid, Yashvi Puneet Nagar, Lillette Dubey
Filmlänge: 105 Minuten
Verleih: NFP Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 21. November 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Gute Filmideen liegen bisweilen auf der Straße. Zum Beispiel in Mumbai. Dort sind täglich Tausende „Dabbawallas“ im Einsatz, Kuriere, die nach einem verblüffend ausgeklügelten Prinzip die hungrige Kundschaft mit Lunchpakten versorgen. Dieses weltweit einmalige low-tech-Logistiksystem, das bereits über 100 Jahre auf dem Buckel hat, dient als Basis für eine bittersüße Liebes-Komödie der ganz besonderen Art.

Der mürrische Witwer Saajan Fernandes (Irrfan „Life of Pi“ Khan) steht nach 35 Jahren Bürotätigkeit im Staatsdienst kurz vor dem Ruhestand. Wie in Indien üblich, lässt er sich sein Mittagsessen täglich an den Arbeitsplatz liefern. Eines Tages überrascht ihn das sonst ziemlich fade Menu aus dem Blechnapf mit kulinarischen Köstlichkeiten. Der Grund liegt in einer Verwechslung bei der Lunchbox-Zustellung, die üblicherweise so gut wie ausgeschlossen ist. Der eigentliche Empfänger wäre der Ehemann der leidenschaftlichen Köchin Ila gewesen, die mit dem raffinierten Lunch etwas mehr Würze in ihr fades Liebesleben bringen möchte. Doch der Gatte zeigt sich nach Feierabend so gelangweilt wie üblich. Umso begeisterter reagiert der neue Mitesser auf die unerwarteten Gaumenfreuden. Am nächsten Tag bereitet Ila abermals ein Traumgericht zu, diesmal allerdings versehen mit einer kleiner Nachricht. Als Saajan die Notiz findet, schreibt er der Unbekannten prompt zurück. Anfängliche Misstöne („es war zu salzig!“) werden schnell ausgeräumt und aus dem Zettel-Verkehr der einsamen Herzen entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft.

Während Ila sich mit Hilfe ihrer Nachbarin, die man nur als sehr laute Stimme im Hintergrund erlebt, weiter um die perfekte Mahlzeit kümmert, muss Saajan sich im Büro mit seinem Nachfolger herumschlagen, dem überaus geschwätzigen, penetrant gut gelaunten und altklugen Aslam. Die Gefühle geraten in Bewegung, als Ila in der Wäsche des Ehemanns eine unangenehme Entdeckung macht und der Witwer vom aufdringlichen Aslam zum Essen eingeladen wird. Höchste Zeit also, dass sich die Köchin und ihr größter Fan endlich einmal leibhaftig begegnen.

Dem in Mumbai und New York lebenden Autor und Regisseur Ritesh Batra gelingt mit seinem ersten Spielfilm, den er voriges Jahre bereits auf dem Berlinale Talent Campus präsentierte, ein überzeugendes Debüt. Die Beziehungsgeschichte zwischen der vernachlässigten Ehefrau und dem verbitterten Witwer funktioniert und berührt. Die Lunchbox-Botschaften, die die beiden austauschen, entpuppen sich als bemerkenswerte Betrachtungen über die fehlende Leichtigkeit des Seins. Wenn sich der Held in der chronisch qualvollen Enge der völlig überfüllten Zug-Waggons die „Wofür leben wir?“-Frage stellt, wirkt das so bedrückend und eindrucksvoll wie die Erkenntnis der Ehefrau, ihren Gatten wegen drohender Armut gar nicht verlassen zu können.

Gleichwohl bleibt in dieser bittersüßen Komödie genügend Raum für Humor. Die quäkende Nachbarin etwa überzeugt als ebenso geglückt komischer Sidekick wie der endlos quasselnde Ehrgeizling im Büro. Als kluger Schachzug erweist sich zudem, entgegen naheliegender Versuchung, die Zubereitung der Menüs nicht zu einer ausufernden Kochshow mutieren zu lassen. Am meisten Originalitätspunkte gibt es freilich für den quirligen Einsatz der Dabbawallas (was in Hindi so viel wie „der, der eine Box trägt“ bedeutet), der auf diese eindrucksvolle Weise im Kino wohl noch nicht zu erleben war.

Dem ebenso exzellenten wie vermutlich ziemlich strapazierten Kameramann blieb inmitten von diesem Chaos der Massen als lakonischer Trost bisweilen wohl nur jene Weisheit aus dem Film: „Manchmal bringt dich auch ein falscher Zug an das richtige Ziel“.

Dieter Oßwald