Mädchen im Eis

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100 frisch verendete Pinguine. Ein obskurer Öko-Oligarch. Ein versponnener Videokünstler. Eine schwer verliebte Deutsche. Ihr russischer Lover-Softie samt dessen verheimlichte Karrieristen-Gattin... So erfrischend verblüffend das Figurenkarussell dieser lakonisch absurden Lovestory im russischen Polarkreis aufgestellt ist, so kurzweilig situationskomisch wird sie serviert. Mit Gruppendynamik auf kleinstem Raum kennt sich Stefan Krohmer aus, das bewies er einst erfolgreich mit seinem Debüt „Sie haben Knut“. In seiner neuen, wahnwitzigen Rom-Com im Dauerfrost glitzert bisweilen die kauzige Coolness eines Kaurismäki. Nach 9-jährigem TV-Exil gelingt dem schwäbischen Grimme-Preisträger damit ein vergnügliches Kino-Comeback.

Webseite: www.x-verleih.de

D 2015
Regie: Stefan Krohmer
Darsteller: Lucie Heinze, Aleksei Guskov, Anton Pampuschny, Juri Kolokolnikov, Vera Rudberg, Maria Semenova, Eugen Bal
Filmlänge: 90 Minuten
Verleih: X-Verleih
Kinostart: 21. Mai 2015
 

FILMKRITIK:

„Pinguine sind pervers. Sie sind untreu. Homosexuell. Sie schänden Leichen und ihre Jungtiere.“ Politische Korrektheit ist nicht unbedingt die Sache des chronisch cholerischen Tierpflegers im Zoo. In Sachen Moral hat er gleichfalls manche Macken, als fabulierungsfreudiger Filmerzähler taugt er freilich allemal. Seinem leicht verschreckten Publikum tischt er bei der Pinguin-Fütterung eine recht abenteuerliche Geschichte auf, die rückblickend diese absurde Lovestory aufrollt. Alles begann damit, so der Off-Erzähler stolz, dass er damals 100 Pinguine in ein abgelegenes Wintersporthotel am russischen Polarkreis bringen sollte. Die Vögel waren als Komparsen gebucht für ein apokalyptisches Öko-Werbe-Video, das der ebenso betagte wie steinreiche wie schrullige Oligarch Wsewolod Starych in Auftrag gab. Dass die Tiere den ruppigen Transport nicht überlebten, ist für den angereisten Video-Regisseur ein Fiasko, der Chauffeur indes sieht die Katastrophe gelassen und setzt auf eine schlitzohrige Lösung. Unterdessen macht sich auch der Oligarch auf den Weg zu den Dreharbeiten. Bei einer Rast wird er Zeuge, wie die junge deutsche Musikerin Winja am Nebentisch von einem Informanten den Aufenthaltsort ihres verschwundenen Liebhabers Andrei erfährt – just jenes Hotel, wo der Pinguin-Dreh stattfindet. Dass der Informant für seine Dienste Bares verlangt, findet der Oligarch unmoralisch und erteilt ihm vor dem Restaurant prompt eine blutige Lektion.

Wenig später treffen die Akteure im Hotel ein. Ihren Überraschungsbesuch hat sich die verliebte Deutsche allerdings anders vorgestellt, taucht ihre große Liebe doch mit Ehefrau samt Baby auf. Allerdings kann Andrei alles erklären. Die verheimlichte Beziehung zur dopingsüchtigen Biathletin wäre längst vorbei, hätte es nur nicht deren ungewollte Schwangerschaft gegeben. Mittlerweile mutierte die ehrgeizige Olympiasportlerin längst zur Rabenmutter.

Derweil plagen den Filmerzähler ganz andere Probleme. Beim seinem nicht ganz artgerechten Tiertransport gab es ein fatales Pinguin-Problem, der Auftraggeber will die toten Frackträger nicht akzeptieren und verweigert das Honorar. So bleiben dem Schlitzohr nur diverse Erpressungsversuche. Beim Oligarchen beißt er damit auf Granit, derweil andere Opfer plötzlich perfide Intrigen-Qualitäten entwickelt – sehr zur Freude eines überraschend auftauchenden Kommissars.
 
So verrückt die absurde Geschichte klingt, so vergnüglich schwarzhumorig kommt sie daher. Die Macken der Figuren sind gekonnt geschnitzt und bieten ein amüsantes Marotten-Panorama. Vom cholerischen Off-Erzähler über den durchgeknallten Videokünstler bis zum rigorosen Umweltaktivisten, der für seine Ideale schon mal über Leichen geht. Die Akteure der Amour Fou fallen nicht minder schillernd aus. Der höchst besorgten Softie-Papa, zerrieben zwischen den Frauen-Fronten: Seiner schwer romantischen Freundin aus Deutschland, der verbissenen Gattin auf Olympia-Kurs sowie deren skrupellosen Trainerin. Mit solchem Personal lassen sich allemal aberwitzige Situationen pointenstark auf die Spitze treiben und allerlei ulkige Überraschungseffekte inszenieren.

Punktabzug gibt es indes für die teilweise Untertitelung. Als Verfremdungseffekt mag das zunächst eine hübsche Idee sein, in der Umsetzung jedoch wirkt sie wenig plausibel, weil kaum klar wird, weshalb einige Russen so perfekt Deutsch sprechen und andere überhaupt nicht – von der bisweilen gewöhnungsbedürftigen Lesbarkeit der Untertitel ganz zu schweigen. Das kleine Ärgernis tut dem Amüsement letztlich freilich wenig Abbruch, da überzeugt der schrullig schöne Soundtrack sowie russische Schauspieler, deren hierzulande unbekannten Gesichter höchst originelle Typen der eigenwillig lakonischen Art abgeben – Kaurismäki lässt grüßen!
 
Dieter Oßwald