Maikäfer flieg!

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Christine Nöstlingers literarische Kindheitserinnerungen sind auch als Film viel mehr als eine autobiographisch geprägte Jugendgeschichte - sie sind ein Plädoyer für den Frieden und gleichzeitig eine Aufforderung zum Anderssein. Die kleine Christl erlebt 1945 in und um Wien ihre ganz eigene Version vom Kriegsende inklusive Angst, Flucht und Terror - aber sie findet auch unerwartete Freunde und hat ihren Spaß. Mit dem Blick eines Kindes (Zita Gaier) zeigt Mirjam Unger den ganz normalen Wahnsinn des Krieges. Ein wichtiger Film, nicht nur für die Jugend.

Webseite: maikaeferflieg.wfilm.de

Österreich 2016
Regie: Mirjam Unger
Drehbuch: Sandra Bohle (nach dem Roman von Christine Nöstlinger)
Darsteller: Zita Gaier, Ursula Strauss, Gerald Votava, Konstantin Khabensky, Bettina Mittendorfer, Heinz Marecek, Krista Stadler
Länge: 109 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 27. April 2017

FILMKRITIK:

Mit ihren Büchern hat Christine Nöstlinger schon längst Literaturgeschichte geschrieben. Einige wurden bald nach der Veröffentlichung auf die Leinwand gebracht, so „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ von Hark Bohm (1974) oder „Konrad aus der Konservenbüchse“ von Claudia Schröder (1982). Auf „Maikäfer flieg!“ musste das Kinopublikum lange warten. Doch seit der Veröffentlichung im Jahr 1973 hat das Buch nichts von seiner Aktualität, von seinem Witz und von seinem herben Charme eingebüßt. Das Drehbuch von Sandra Bohle hält sich recht eng an die Vorlage: Die kleine Christl ist erst 9 Jahre alt, aber für sie ist das Leben im Krieg selbstverständlich: die Bombenangriffe, die Ruinen, die Verhaftungen, der Hunger. Sie beobachtet die Welt der Erwachsenen - so wie alle Kinder, und sie versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Zum Kriegsende lebt sie bei den Großeltern in Wien. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer Mutter flüchtet sie vor der heranrückenden sowjetischen Armee zu Freunden ins Umland. Doch das Haus wird nach der Kapitulation von sowjetischen Soldaten beschlagnahmt, und Christl schließt Freundschaft mit dem russischen Koch Cohn.
 
Der Wiener Dialekt ist authentisch, ebenso die Stimmung in der Stadt kurz vor der sowjetischen Besetzung. Mit viel Feingefühl und Sinn für Poesie fängt Mirjam Unger die kindliche Sichtweise auf den alltäglichen Schrecken ein, aber auch auf die Freiheiten, die das ungeordnete Leben am Rande des Irrsinns bietet. Christl, in der sich unschwer die junge Autorin erkennen lässt, ist ein fantasievoller, ungeheuer ungebärdiger Wildfang und wird absolut großartig von Zita Gaier gespielt, die vollkommen niedlichkeitsbefreit und mit eher ruppigem Charme ein Kind darstellt, das versucht, sich in einem Leben zurechtzufinden, das nur auf den ersten Blick vom Krieg geprägt ist. Zita Gaier macht aus der Christl ein trotziges und dennoch hochsensibles Mädchen mit Witz und Verstand, für das Angst und Terror alltäglich sind. Und so könnte sich der Krieg angefühlt haben, so selbstverständlich furchtbar und gleichzeitig so grässlich normal. Als Christine Nöstlinger 1973 ihren Roman veröffentlichte, war die Erinnerung an den 2. Weltkrieg noch deutlich lebendiger als heute. Umso wichtiger ist es, niemals zu vergessen, was der Krieg aus den Menschen und aus einem ganzen Land macht, und zwar gerade jetzt in diesen Zeiten. Die Sozialkritik und das Appellhafte der Geschichte sind im Film vielleicht weniger präsent als im Buch. Doch die klare Stellungnahme gegen die Nazipolitik und gegen die Hilflosigkeit der Verfolgten und Opfer ist ebenso offensichtlich und gibt dem Film eine zeitlose Bedeutung. Dass sich Mirjam Unger dafür entschieden hat, ihren Film großenteils im Wiener Dialekt sprechen zu lassen, macht ihn noch authentischer, erschwert aber nördlich des Weißwurstäquators vielleicht den schnellen Zugang. Andererseits verweigert sich der Film ohnehin den üblichen tantenhaften Kinderklischees und verbreitet generell eine angenehm sympathische Sprödigkeit, denn Mirjam Unger verzichtet auf sämtliche tanten- oder onkelhaften Kinderklischees. Auch in der Bildgestaltung (Kamera: Eva Testor) zeigt sich der sensible Umgang mit der Vorlage, die Kamera bleibt oft in Augenhöhe des Kindes, das Tempo wechselt zwischen sehr gemächlich und flott – ähnlich wie die Musik, die ohne schmelzende Walzerklänge und schluchzende Violinen auskommt. Denn hier gibt es keinen Pathos oder Rührseligkeit, weder in der Komik noch in der Tragik. Und tatsächlich hat der unterhaltsame Film auch viele witzige Momente, und er meiert sich nicht an sein Publikum heran, sondern liefert zusätzliche Denk- und Diskussionsanstöße, so dass er tatsächlich für Menschen jeden Alters empfehlenswert ist.
 
Gaby Sikorski