Mapplethorpe: Look at the Pictures

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Meisterhaft macht das Regieduo Fanton Bailey und Randy Barbato die stilprägende Kunst von Robert Mapplethrope für die moderne Fotografie auf der Leinwand sichtbar. Gleichzeitig entwerfen die beiden dabei ein spannendes Porträt einer radikal, ehrlichen, freimütigen Persönlichkeit. Last but not least lässt ihre komplex, brillante Dokumentation ein Stück befreienden, hedonistischen Zeitgeist der ausgehenden 1970er Jahre, den letzten Schritt der sexuellen Revolution, lebendig werden. Über Mapplethropes kompromisslosen Versuch die Grenzen zwischen Pornographie und Kunst aufzuheben, kann man sicher geteilter Meinung sein. Doch sein Aufbegehren gegen heuchlerische Moralvorstellungen entfaltet eine suggestive Ästhetik, die fasziniert.   

Webseite: www.mapplethorpe-derfilm.de

USA, Deutschland 2016
Regie: Fanton Bailey, Randy Barbato
Darsteller: Robert Mapplethrope, Edward Mapplethrope, Fran Lebowitz, Brice Marden, Debbie Harry, Ken Moody, Robert Sherman, Carolina Herrera, Brooke Shields, Gloria von Thurn und Taxis.
Kamera: Mario Panagiotopoulos, Huey Truong
Länge:  108 Minuten
Verleih:  Kool Film
Kinostart: 3. November 2016
 

FILMKRITIK:

Das neue Medium Fotografie löst bei seiner Erfindung 1839 sowohl Schrecken als auch Faszination aus. Ihr Kunstcharakter steht lange Zeit zur Diskussion. Sie muss als Kunstform immer um Anerkennung kämpfen. Inzwischen ist sie in einem Markt angekommen, der lange Zeit von der Malerei dominiert wurde. Einen Wendepunkt, den nicht zuletzt Fotografen wie Robert Mapplethorpe einläuteten. Mit seiner Ausstellung „Der perfekte Augenblick“ entfacht er 1989 noch bevor sie an der Corcoran Gallery of Art in Washington, D.C eröffnet werden kann, einen heftigen Kulturkrieg.
 
„Look at the picture“, schreit der Republikaner Jesse Helmes hysterisch im US-Senat, um die Ausstellung dieses „Homosexuellen“ zu verhindern. Robert Mapplethorpe selbst ist zu diesem Zeitpunkt mit 42 Jahren bereits an Aids gestorben. Archivbilder dieser Kontroverse eröffnen die erhellende Dokumentation, die den Zuschauer bereits im Titel dazu auffordert einen intensiven, unvoreingenommenen Blick auf Mapplethropes Bilder zu werfen. Moderne Fotografie danach immer noch nicht als selbstständiges, künstlerisches Ausdrucksmittel wahrzunehmen, ist kaum vorstellbar. Nicht zuletzt ein Verdienst der beiden Regisseure Fanton Bailey und Randy Barbato.
 
Gleichzeitig entwirft der Film ein Sittenbild der Siebziger Jahre als Rockpoetin Patti Smith und Robert Mappelthorpe im legendären Boheme-Hotel Chelsea zusammen wohnen. Es ist das Manhattan von Andy Warhols Factory, des Studio 54 und einer nach den Stonewall-Unruhen ausgelöst durch gewalttätigen Razzien in Schwulenlokalen, hedonistisch ausgelebten Sexualität. Zugleich spricht der verstorbene Ausnahmekünstler in neu entdeckten Interviews offen über sich selbst, seine Ambitionen und Wünsche. Mit unersättlicher Hingabe sind Leben und Kunst für ihn in keinem Moment zu trennen.
 
Und so versucht er auch Sexualität vom Schmuddelimage zu befreien. Die Grenze zwischen Pornographie, die unterm Ladentisch verhandelt wird, und hehrer Kunst stört ihn. Radikal vollzieht der Sohn eines angepassten Familienvaters aus dem Mittleren Westen die scheinbar letzten Schritte zur sexuellen Befreiung. Sein Aufbegehren gegen heuchlerische Moralvorstellungen entfaltet dabei eine suggestive Ästhetik, die fasziniert. Denn mit seinen klassizistischen Fotografien strebte er stets nach formaler Perfektion, egal ob Akt, Blumenstilleben oder Portrait. Dass dabei die Aussagen von Freunden, Lovern, Familienmitgliedern, Berühmtheiten und Modellen wie Lydia Cheng, Ken Moody und „Lady“ Lisa Lyon, ein durchaus kritisches Bild dieser komplexen Schlüsselfigur der Fotografie des 20. Jahrhunderts zeichnen, macht das moderne Künstlermärchen noch spannender.
 
Ob wagemutiger, tragisch zu früh verstorbener Künstler, charmanter Liebhaber oder großer Bruder auf dem Ego-Trip, der den jüngeren verletzt, immer zeigt es eine radikal, ehrliche, freimütige Persönlichkeit, die nach der Ernüchterung der Hippie-Ära die Mechanismen des Kunstmarktes durchschaut. Entscheidend geprägt scheint seine Vorstellungswelt auch von den Märtyrerbildern des Katholizismus. Die Folter, Drangsal und Marter der Heiligen spiegelt sich in queerer Abwandlung auf seinen provokanten Gay-Bildern wider. Wie ein gefallener Engel zwischen Sünde und Heiligkeit, ein James Dean mit Kamera, wirkt er auf manche seiner Weggefährten. Dass bereits ein Biopic über diesen kultigen Jahrhundertfotograf geplant ist, wundert somit nicht.
 
Luitgard Koch