Maria Montessori

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Das Biopic über die große Pädagogin Maria Montessori, eine der prägenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, zeigt nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben der weltberühmten Wissenschaftlerinnen. Vor allem den beiden umwerfenden Hauptdarstellerinnen – Jasmine Trinca und Leïla Bekhti – sowie der geschickten Drehbuch-Konstruktion mit zwei parallel erzählten Handlungssträngen, die sich immer öfter kreuzen, ist es zu verdanken, dass hier ein sehenswerter Arthouse-Film entstanden ist.

Webseite: https://www.neuevisionen.de/de/filme/maria-montessori-144

Originaltitel: La femme nouveau
Regie: Léa Todorov
Drehbuch: Léa Todorov
Darsteller: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Rafaelle Sonneville-Caby, Raffaele Esposito, Laura Borelli, Nancy Huston

Länge: 100 Minuten
Start: 07.03.2024
Verleih: Neue Visionen

FILMKRITIK:

Der Film greift einen Abschnitt in Maria Montessoris Leben heraus, der für sie besonders schwierig war: ihre ersten Berufsjahre, in denen sie um die Anerkennung ihrer Methoden kämpfte und immer wieder durch private Erschütterungen zurückgeworfen wurde. Vor allem die Trennung von ihrem kleinen Sohn Mario und die private wie berufliche Beziehung zu ihrem Kollegen Guiseppe Montesano, Marios Vater, wurden für Maria Montessori zu einschneidenden Erfahrungen, die ihren späteren Weg beeinflussten. Sie wollte Montesano nicht heiraten – eine eigenwillige Entscheidung für eine Frau Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Drehbuchautorin und Regisseurin Léa Todorov hat für die Darstellung dieses Lebensabschnitts eine ebenso ungewöhnliche wie elegante Lösung gefunden: Sie mischt Fiktionales und Reales, indem sie parallel die Geschichten von Maria Montessori (Jasmine Trinca) und Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) erzählt. Lili, die Edel-Kurtisane aus Paris, ist eine reine Fantasiefigur. Beide Frauen stehen an einem Wendepunkt: Maria möchte sich von den Konventionen befreien, denen sie sich bisher gefügt hat, um endlich ihre Visionen einer idealen Kindererziehung zu verwirklichen, aber noch fehlen ihr dafür die Möglichkeiten. Vor allem ist da ihr kleiner Sohn, der in der Familie seiner Amme aufwächst und den Maria zusammen mit Guiseppe so oft wie möglich besucht. Die flotte Französin Lili, der Liebling der Haute Volée in Paris, hat ebenfalls ein Kind, das sie geheimhält: ihre geistig beeinträchtigte Tochter Tina (Raffaelle Sonneville-Caby), die bei der Großmutter aufgewachsen ist und um die sich Lili nach deren Tod nun plötzlich selbst kümmern muss. Sie schämt sich für Tina und bringt sie nach Rom, wo Maria Montessori mit Montesano (Raffaele Esposito) ein Heim für behinderte Kinder leitet. Dort würde Lili das Kind am liebsten einfach abliefern. Daraus wird nichts, denn Tina kann aufgrund von Platzmangel nur tagsüber zur Betreuung ins Heim. Lili bleibt unfreiwillig in Rom. Dadurch lernt sie endlich ihre eigene Tochter zu lieben und sie wird Zeugin der Erfolge durch die Montessori-Methode: Dank Marias Fürsorge blüht Tina bald richtig auf.

Die beiden Frauen haben vor allem gemeinsam, dass sie Kinder haben, zu denen sie sich nicht bekennen. Das bringt Maria und Lili zusammen – zwischen ihnen entwickelt sich langsam eine Freundschaft. Lili erkennt dabei, wie wichtig Geduld und Liebe in der Kindererziehung sind, und Maria lässt sich von der mit allen Wassern gewaschenen Lili in die Welt des Selbstmarketings einführen. Dadurch findet sie zu dem Selbstvertrauen, das sie braucht, um sich in der Männerwelt der Wissenschaft durchzusetzen und endlich die ihr zukommenden Lorbeeren zu beanspruchen. Jetzt hat sie auch den Mut, sich gegen Montesano zu stellen, der bisher allen Ruhm für sich selbst einheimst. Und das ohne jedes schlechte Gewissen. Für ihn ist es selbstverständlich, dass er für seine Arbeit bezahlt wird, während Maria kostenlos mitarbeitet. Für Lili ist das unbegreiflich. Sie lebt nach dem Motto: „Um frei zu sein, muss eine Frau reich sein.“ Erst kommt das Geld und dann das Vergnügen. Danach wählt sie ihre Liebhaber aus – für romantische Gefühle ist da nicht viel Platz.

Die geschickte Konstruktion der beiden parallel erzählten Frauengeschichten macht den Film neben den schauspielerischen Leistungen der Hauptdarstellerinnen interessant und spannend. Zum Ende hin wird das Drama dann immer gewichtiger, da geht es dann schon in Richtung Bekenntniskino. Dabei ist die Story von Maria und Lili in ihrer Mischung aus realen und fiktiven Ereignissen wirklich gelungen, denn sie erlaubt scheinbar beiläufige Einblicke in die Montessori-Methoden, ohne pädagogisierend zu wirken. Das Konzept sorgt zudem für schöne Spannungsbögen, die sich aus den Verflechtungen der beiden Handlungsstränge ergeben. Beide werden als starke Frauen dargestellt, die sich aus bürgerlichen Zwängen lösen wollen.

Léa Todorov inszeniert die Geschichte in sanften Farben im Stil der Belle Époque – die Kostüme sind wunderbar, sogar die Kittelchen der Heimkinder. In der zweiten Hälfte sieht es zeitweilig so aus, als ob das Drama im Gewirr von Marias und Lilis Muttergefühlen stecken bleiben könnte. Und zum Ende hin wird der Film ziemlich sentimental, wenn es um Marias Visionen der Befreiung von Kindern und Frauen geht. Diese Emotionalisierung wäre gar nicht nötig, denn die beiden Hauptdarstellerinnen sind in ihren Rollen sehr überzeugend: Jasmine Trinca, in Italien ein Star, schon seit ihrem ersten Film: „Das Zimmer meines Sohnes“ von Nanni Moretti, spielt Maria Montessori mit natürlicher Eleganz als zerrissene Frau, die sich erstmal selbst befreien muss, bevor sie mit ihren revolutionären neuen Methoden Geschichte schreibt. Leïla Bekhti („Die Ruhelosen“, 2021) ist als Lili selbstbewusst und temperamentvoll, eine lebenslustige Pariserin, die es sich leisten kann, so zu leben, wie sie es mag – ohne Rücksicht auf die Welt der Bourgeoisie. Sie führt die Männer an der Nase herum, und sie hat Erfolg mit diesem Spiel.

Die ernsthafte Wissenschaftlerin Maria hingegen hat eine Vision und ein ehrgeiziges Ziel. Dafür opfert sie ihr Privatleben. – Vielleicht wäre es für sie der Beweis einer echten Emanzipation, wenn sie sich als Frau gegen eine Familie entscheiden könnte, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

 

Gaby Sikorski