Marie Curie – Elemente des Lebens

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Es ist ein ungewöhnliches Projekt, das Marjane Satrapi mit „Marie Curie – Elemente eines Lebens“ aufbietet. Einerseits ist es ein echtes Leben, das sie porträtiert, andererseits die Umsetzung einer experimentellen Graphic Novel. Die Vorlage stammt anders als bei Satrapis vorherigen Filmen „Persepolis“ und „Huhn mit Pflaumen“ nicht von ihr selbst, die Geschichte der Frau, die die Radioaktivität entdeckt hat, sprach sie aber wohl an. Herausgekommen ist ein interessanter Film, bei dem aber etwas mehr Leidenschaft gut gewesen wäre.

Website: www.studiocanal.de/kino/

OT: Radioactive
Großbritannien / Ungarn 2020
Regie: Marjane Satrapi
Buch: Jack Thorne
Darsteller: Rosamund Pike, Sam Riley, Anya Taylor-Joy, Aneurin Barnard
Länge: 119 Minuten
Verleih: StudioCanal
Kinostart: 16.7.2020

FILMKRITIK:

„Radium ist ein außergewöhnliches und merkwürdiges Element. Es verhält sich nicht so, wie man es erwartet“, sagt Marie Curie zu ihren Studenten. Sie spricht dabei nicht nur über das von ihrem Mann Pierre und ihr entdecktes Element, sie spricht auch über sich selbst. Denn außergewöhnlich ist sie auch. Eine Frau, die für die Wissenschaft lebt und sich zum Ende des 19. Jahrhunderts zahlreichen Widerständen gegenübersieht, aber niemals aufgibt.

Als Marie (Rosamund Pike) und Pierre (Sam Riley) sich kennen lernen, hat sie gerade ihr Labor verloren. Weil sie eine Frau ist, vielleicht aber sogar noch mehr, weil sie unangepasst ist und unangenehm sein kann. In Pierre findet sie jedoch einen Mann, der genau das an ihr schätzt. Er lädt sie ein, in seinem Labor zu arbeiten. Schon bald wird zuerst eine professionelle, dann auch eine private Partnerschaft daraus, während beide daran arbeiten, die Existenz eines neuen Elements zu beweisen. Sie entdecken die Radioaktivität und verändern damit die Welt. Aber das große Glück bleibt in einem ambitionierten Leben wie diesem oftmals einfach aus.

Das Leben von Marie Curie wurde schon häufig verfilmt, zuletzt vor vier Jahren als polnisch-deutsch-französische Ko-Produktion mit Karolina Gruszka in der Hauptrolle. In der neuen Produktion schlüpft Rosamund Pike in die Hauptrolle. Sie ist vielleicht ein bisschen zu schön für die Rolle, ihr Aussehen unterstreicht aber auch noch mehr, dass Frauen in den wissenschaftlichen Kreisen der damaligen Zeit als Außenseiterinnen galten. Pike spielt mal zurückhaltend, mal resolut, mal energisch, mal verzweifelt. Beeindruckend ist die Szene, in der sie in totaler Verzweiflung immer wieder nach ihrem verstorbenen Mann fragt. Nur eine kurze Szene, aber eine, die ihrer Ehrlichkeit wegen von den Füßen fegt.

Während die Graphic Novel von Lauren Redniss in seiner Kombination aus Bild und Text fast schon experimentell anmutet, ist Marjane Satrapis Film sehr geradlinig. Er deckt praktisch das gesamte Leben seiner Hauptfigur ab, mit Rückblicken in ein traumatisches Ereignis der

Kindheit bis zum Tod im Jahr 1934. Dazwischen muss sich der Film manchmal sputen. Die ersten Jahre der Ehe von Marie und Pierre werden im Zeitraffer präsentiert, danach hakt der Stoff Errungenschaft um Errungenschaft und Skandal um Skandal ab. Gerade bei letzterem wirkt der Film aber merkwürdig teilnahmslos. Als Marie Curie in der Presse verunglimpft wird, Menschen vor ihrem Haus skandieren und allenthalben gefordert wird, sie solle in ihre Heimat Polen zurückkehren, geschieht dies sehr en passant. Man spürt den niederschmetternden Druck der Situation nicht, und das umso mehr, weil auch darauf verzichtet wird, zu zeigen, wie die Ereignisse auf Marie Curies Töchter wirken. Das mag eine bewusste Entscheidung gewesen sein, weil Satrapi Curie zum Ende hin zu ihrer Tochter auch sagen lässt, dass sie als Mutter wohl nicht besonders gut war, aber etwas mehr Gefühl hätte dem Film in der Beziehung sicherlich gutgetan.

Als interessanter Kunstgriff muss gelten, dass man die Entdeckung der Radioaktivität auch in ihrer weitreichenden Form zeigt – mit Blicken in die Zukunft. Im Cleveland des Jahres 1957 wird ein krebskranker Junge mit Strahlentherapie behandelt, auf Hiroshima fällt 1945 die Atombombe, und 1986 kommt es zur Katastrophe in Tschernobyl. In der Aufzählung erscheint es, dass die Radioaktivität mehr geschadet denn genutzt hat. Aber der Film hält es wie Pierre Curie, der das Licht der Erkenntnis der Dunkelheit des Unwissens vorzieht.

Peter Osteried