Megalopolis

Episch und banal, gewagt und überkandidelt, egoman und visionär. Viele Adjektive passen zu Francis Ford Coppolas „Megalopolis“, ein Projekt von dem der legendäre Regisseur seit über vier Jahrzehnten träumt, das er nun für weit über 100 Millionen Dollar selbst finanziert und offenbar ohne jede Kontrolle gedreht hat. Das Ergebnis ist kaum zu fassen, irritiert, fasziniert und ist in jedem Fall ein Ereignis.

USA 2024
Regie & Buch: Francis Ford Coppola
Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Aubrey Plaza, Shia LaBeouf, Jon Voight, Laurence Fishburne, Talia Shire, Jason Schwartzman

Länge: 138 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: Herbst 2024

FILMKRITIK:

Bescheidenheit war noch nie Francis Ford Coppolas Stärke. Als er 1979 mit einem Rohschnitt von „Apocalypse Now“ nach Cannes kam behauptete er: „Dieser Film handelt nicht von Vietnam, er IST Vietnam!“ Ein paar Tage später gab es dafür die zweite Goldene Palme und den endgültigen Aufstieg in den Olymp des Kinos. In den Jahrzehnten danach entstanden noch manche gefeierte Filme, aber viele, die vor allem Unverständnis hervorriefen, von „Jack“ bis „Youth without Youth.“ Doch einen roten Faden hatte diese Werke, sie handelten von der Zeit. Es ging um Vergänglichkeit, um den Wunsch, das Leben noch einmal zu leben, mit der Erfahrung des Älteren, um die Frage, was man hinterlässt, was überdauert. Fragen, die sich nun auch durch „Megalopolis“ ziehen, ein Film, der einerseits eine 120 Millionen Dollar teure Großproduktion ist, andererseits auch ein persönlicher Experimentalfilm.

Schauplatz ist New Rome, eine Metropole, die unzweideutig als New York zu erkennen ist. Gleich in der ersten Szene hält der visionäre Architekt Cesar Catilina (Adfam Driver) für einen Moment die Zeit an, doch unweigerlich läuft sie weiter. Cesar hat nur eine Hoffnung für seine Stadt, die von Exzessen, Korruption und dem Verfall der Moral gebeutelt scheint: Eine neue Stadt soll entstehen, gebaut mit dem Mineral Megalo, eine Stadt, die von Schönheit und Ästhetik geprägt ist und durch ihre schiere visionäre Kraft die Menschen inspiriert. Megalopolis soll sie heißen, doch sein Gegenspieler, der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) hat andere Pläne. Aber auch eine schöne Tochter namens Julia (Nathalie Emmanuel), die sich bald auf Cesars Seite schlägt.

Weniger Charaktere als Symbole scheinen diese Figuren zu sein, der Finanzhai Hamilton Crassus III (Jon Voight), etwa, der in Momenten ebenso an Donald Trump und seine Exzesse erinnert wie sein Enkel Clodio (Shia LaBeouf), ein oberflächlicher Playboy, den es in die Politik zieht. Dass Coppola ein Faible für sprechende Namen hat zeigt auch die Finanzjournalistin Wow Platinum (Aubrey Plaza) oder die Witwe von Cesar, der er immer noch hinterhertrauert: Sunny Hope heißt sie, und man mag hier an Eleanor Coppola denken, die langjährige Ehefrau des Regisseurs, die kurz vor der Premiere von „Megalopolis“ verstarb. Denn das Coppola Cesar als Alter Ego intendiert hat liegt auf der Hand: Ein visionärer Künstler, der alles seiner Arbeit unterwirft und Werke schafft, die die Fähigkeit haben, zu transzendieren. Wie gesagt: Bescheiden war Coppola noch nie.

Aber auch ikonoklastisch. Die beschriebene Handlung mag sich zwar durchaus nachvollziehbar anhören: Konventionell ist kein Moment in „Megalopolis.“ Mitunter wirkt es so, als habe Coppola bewusst jede Regel eines normalen Hollywood-Films brechen wollen, Spannungsmomente, Plot Points, Wendepunkte gibt es nicht, stattdessen stehen lose Szenen nebeneinander, verbunden weniger durch Handlung als durch Ideen, Anspielungen und Bezügen. Abgesehen davon, das Figuren wie Cesar und Cicero sich auf die sogenannte Catilinarische Verschwörung bezieht, die sich 63 v.u.Z. in Rom zutrug,gab Coppola zu Protokoll, das er sich unter anderen von diesen Autoren und Regisseuren inspirieren ließ: G.B. Shaw, Voltaire, Rousseau, Bentham, Mill, Dickens, Emerson, Thoreau, Fuller, Fournier, Morris, Carlyle, Ruskin, Butler, Wells, Euripides, Thomas More, Moliere, Pirandello, Shakespeare, Beaumarchais, Swift, Kubrick, Murnau, Goethe, Plato, Aeschylus, Spinoza, Durrell, Ibsen, Abel Gance, Fellini, Visconti, Bergman, Bergson, Hesse, Hitchcock, Kurosawa, Cao Xueqin, Mizoguchi, Tolstoy, McCullough, Moses und die Propheten.

Größenwahnsinnig oder Visionär? So reich an Ideen und Bezügen wirkt „Megalopolis“, das eine einzige Sichtung nicht annähernd ausreicht, ihn zu entschlüsseln. Manches wirkt modern, anderes altmodisch an, manches wie in den 80ern geschrieben, anderes wie eine Reaktion auf die Trump-Ära, manche Bilder begeistern, andere wirken wie billiges Digitalkino.

Ob „Megalopolis“ die oder zumindest eine Zukunft des Kinos darstellt, das Medium zu neuen Formen führt und alte Zöpfe durchtrennt bleibt abzuwarten. Herkömmliche Regeln zu brechen ist zwar nicht zwangsläufig ein Wert an sich, wie hier ein über 80jähriger Regisseur, der schon alles erreicht hat, sich noch einmal neu erfindet, nötigt jedoch unbedingt Respekt ab.

 

Michael Meyns