Mein Ende. Dein Anfang.

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Einer der besten Filme des Jahres 2019 kommt aus Deutschland. In „Mein Ende. Dein Anfang.“ wirbelt Regiedebütantin Mariko Monoguchi die Gesetze des filmischen Erzählens durcheinander und inszeniert unter Zuhilfenahme eines preiswürdigen Ensembles eine zu Tränen rührende Geschichte über Liebe, Verlust und Vergeben.

Webseite: www.24-bilder.de

Deutschland 2019
Regie: Mariko Minoguchi
Darsteller: Saskia Rosendahl, Julius Feldmeier, Edin Hasanovic, Jeanette Hain, Lilly Forgach, Leonard Hohm, Emanuela von Frankenberg, David Baalcke
Verleih: Telepool / 24 Bilder
Länge: 111 Min.
Start: 28. November 2019

FILMKRITIK:

Für Nora (Saskia Rosendahl) bricht eine Welt zusammen, als ihr Freund (Julius Feldmeier) bei einem Banküberfall ums Leben kommt. Zunächst versucht sie die Tragödie zu verdrängen. Doch nach und nach brechen die Gefühle aus ihr heraus und sie beginnt notgedrungen, den Verlust zu verarbeiten. Dazu schwelgt sie in Erinnerungen an ihr gemeinsames Kennenlernen, ihre große Liebe und all die Träume, die das glückliche Paar hatte und nun doch nie umsetzen können wird. Irgendwo in einer anderen Ecke der Stadt hat Natan (Edin Hasanovic) ein ähnliches Problem, das ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Seine kleine Tochter ist schwerkrank und benötigt dringend eine teure Behandlung, die für Natan jedoch unbezahlbar wird, als er durch eigenes Verschulden seinen Job verliert. Die Wege von Natan und Nora kreuzen sich eines Nachts, denn die beiden scheinen überraschend viel gemeinsam zu haben…
 
Die gebürtig aus München stammende Regisseurin Mariko Minoguchi hat sich für ihrLangfilmdebüt gleich ein Mammutprojekt ausgesucht. Mammutprojekt deshalb, weil er sich für „Mein Ende. Dein Anfang.“ Möglichst weit vom schematisch-chronologischen Erzählen entfernt. Was genau damit gemeint ist, würden wir gern an vielen, vielen Beispielen erläutern, doch das würde dem Zuschauer vermutlich einen Großteil der Faszination rauben, die „Mein Ende. Dein Anfang“ beim ersten Anschauen auf ihn ausübt. Das knapp zweistündige Thrillerdrama rund um ein brutal auseinandergerissenes Paar und den Versuch einer jungen Frau, einen schlimmen Verlust zu verarbeiten, will hautnah erlebt werden. Denn wenn man sich voll und ganz auf die Geschichte einlässt, ist Minoguchi in der Lage, seine Zuschauer an der Nase herumzuführen, ohne dass sie überhaupt etwas davon mitbekommen. Und wenn sich dann am Ende alles zu einem großen Ganzen entwickelt, genießt man den Moment des fallenden Groschens.  
 
Mariko Minoguchi nannte ihren Bruder als Hauptinspirationsquelle für den Film. Dieser ist nämlich Physiker, der sich unter anderem auch mit der Relativitätstheorie (der Originaltitel des Films lautet „Relativity“) und der Quantentheorie beschäftigte. Die Frage nach Zufall und Schicksal dominiert „Mein Ende. Dein Anfang.“ folglich von der ersten bis zur letzten Szene. Der Film beginnt mit einer Vorlesung über die Zeit und endet schließlich mit dem ersten Aufeinandertreffen zwischen Nora und ihrem Freund. Ganz genau: Er endet mit dem Anfang. Und zwischendrin erzählt er davon, wie sich das Paar kennenlernte. Die Flashbacks schildern wichtige Ereignisse im Leben des Paares. Es geht um Ängste, um das Verhältnis zwischen Nora und ihrer Mutter, um die zwei Welten, aus denen die eher simpel gestrickte Frau und ihr aus gutem Hause stammender Partner kommen und darum, wie diese zwei Welten doch irgendwann zu einer verschmelzen. Doch je mehr man über die beiden erfährt, desto tragischer wird es. Erinnert diese Erzählform doch auch ein Stückweit an Gaspar Noés „Irréversible“, der konstant rückwärts verläuft und vom Unhappy-End unaufhaltsam auf einen glücklichen Filmbeginn zusteuert – und dann abschließt, als das später brutal auseinandergerissene Paar noch gar nicht ahnt, was ihm später bevorsteht.
 
Minoguchi arbeitet zwar nicht mit derart drastischen visuellen Stilmitteln wie ihr Kollege Noé, doch genau wie dieser hat auch sie die Wichtigkeit von inszenatorischer Experimentierfreude erfasst. Da rückt der Handlungsstrang rund um Noras One-Night-Stand Natan zeitweise fast in den Hintergrund, da man erst weit in der zweiten Filmhälfte von „Mein Ende. Dein Anfang.“ zu verstehen beginnt, von welch enormer Wichtigkeit Natans Eintritt in Noras Leben eigentlich ist. Sowohl die sich zaghaft aufbauende Beziehung zwischen den beiden, als auch die über kleine, dafür umso liebevollere Gesten funktionierende Lovestory zwischen ihr und ihrem verstorbenen Freund erinnern an die Filme eines Mikhaël Hers, der mit „Ein Sommergefühl“ einen der besten, wenn nicht gar den besten Film zum Thema Trauerverarbeitung inszeniert hat, den es überhaupt gibt. Hier trifft die reduzierte Intimität seiner Erzählungen auf die keinerlei Risiko scheuende Experimentierfreude von Filmemachern wie Christopher Nolan oder eben auch Gaspar Noé – eine Kombination, die man einfach erleben muss, um sie zu glauben.
 
Getragen wird „Mein Ende. Dein Anfang.“ von einem vollständig aus Newcomern bestehenden Ensemble. Lediglich in kleinen Nebenrollen tauchen mit Jeanette Hain („Der Vorleser“) oder David Baalcke („Shoppen“) auch mal bekanntere Schauspieler auf. Ansonsten gehört die Bühne voll und ganz den herrlich unprätentiös aufspielenden, sich voll und ganz in den Dienst ihrer emotional aufgeladenen Rollen stellenden Darstellern: Saskia Rosendahl („Werk ohne Autor“), Julius Feldmeier („Tore tanzt“) und Edin Hasanovic („Schuld sind immer die Anderen“) sind nie zusammen auf der Leinwand zu sehen und ergänzen sich dennoch allesamt hervorragend. Allein für diese bravouröse Leistung ist der Gang ins Kino Pflicht.
 
Ganz großes Deutsches Kino, irgendwo zwischen der Experimentierfreudigkeit eines Christopher Nolan und der Intimität eines Mikhaël Hers. So geht Stilbruch auf der Leinwand!
 
Antje Wessels