Meine glückliche Familie

Zum Vergrößern klicken

Ein sensibles Drama des georgisch-deutschen Regieduos Nana Ekvtimishvil und Simon Gross  (DIE LANGEN HELLEN TAGE) über den Wunsch einer Frau nach einem eigenen Leben: Kurz nach ihrem 52. Geburtstag beschließt Manana, aus der engen Drei-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit ihren Eltern und den erwachsenen Kindern teilt, in eine eigene  Wohnung zu ziehen. Die Familie ist entsetzt und fassungslos. Was keiner versteht: Manana geht es gar nicht so sehr um eine Trennung von ihrem Mann. Die ruhige Frau, die gerne liest und Gitarre spielt, möchte endlich, nach einem Leben im Schatten der Familie, einen Raum für sich.

Webseite: www.zorrofilm.de

Georgien/Deutschland/Frankreich 2016
Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Gross
Drehbuch: Nana Ekvtimishvili
Kamera: Tudor Panduru
Darsteller: Ia Shugliashvili, Merab Ninidze, Berta Khapava, Tsisia Kumsishvili, Giorgi Khurtsilava, Giorgi Tabidze
Länge: 120 Minuten
Verleih: Zorro Filmverleih
Kinostart: 13.7.2017

FILMKRITIK:

MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE beginnt an Mananas 52. Geburtstag. Dass sie selbst den gar nicht feiern möchte, interessiert in ihrer Familie niemanden: Kaum kommt sie morgens in die Küche, diskutiert Mutter Lamara das Abendessen mit ihr. Mananas Einwand „Ich habe niemanden eingeladen“ wischt sie beiseite. Ihr Mann Soso fragt, ob er Wein besorgen soll. Es ist eine rhetorische Frage. Natürlich besorgt Soso Wein, natürlich kocht Lamara ein Festmahl, natürlich kommt Mananas Bruder Rezo mit Familie vorbei und bleiben die Kollegen von Soso bis spät. Es wird gesungen und getrunken, nur Manana verkriecht sich auf dem Balkon.
 
Wenige Tage später eröffnet sie der versammelten Familie – Mutter Lamara, Vater Otar, Ehemann Soso, Tochter Nino (24) mit Mann Vakho und Sohn Lasha (20) – dass sie eine kleine Wohnung gemietet hat und aus der gemeinsamen Drei-Zimmer-Wohnung auszieht. Während eben noch niemand überhaupt zu bemerken schien, dass sie existiert, bricht nun eine Welle über sie los. Vor allem Mutter Lamara und Bruder Rezo fühlen sich berufen, zu intervenieren. Was mit ihr los sei, es gehe ihr doch gut, ihr Mann schlage sie nicht, sie habe zwei Kinder, was sollen die Leute denken? Antworten erwarten sie dabei nicht, nur dass Manana ihre Meinung ändert. 
 
MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE ist vollständig  auf Mananas Seite und bewegt sich mit ihr durch die kleinen Räume, die ihr Leben ausmachen: die überfüllte alte Wohnung, den lauten Wochenmarkt, die Schulklasse, in der sie unterrichtet. Die halbnahen Einstellungen respektieren, anders in EINFACH DAS ENDE DER WELT, ihre Privatsphäre, aber sie lassen ihr nur wenig Bewegungsraum. Wenn man mit Manana in der kleinen neuen Wohnung ankommt – etwas schäbig aber mit zwei Balkonen – ist man fast so erleichtert wie sie. Endlich Ruhe. Die spartanische Einrichtung erinnert an erste Studentenzimmer, und auch an das profunde Glück, auf einmal alles ganz alleine bestimmen zu können. Dass es keine Vase gibt und die Regale noch aufgehängt werden müssen, tut dem keinen Abbruch.
 
In DIE LANGEN HELLEN TAGE hatte das georgisch-deutsche Regieduo Nana Ekvtimishvil und Simon Gross davon erzählt, wie zwei 14-jährige Mädchen sich im chaotischen Nachkriegs-Georgien der 90er durchschlagen. Der Film zeigte eine rechtsfreie Welt, in der ein untergehendes Patriarchat gegen weibliche Freiheitsbestrebungen gnadenlos vorging. Der in der Gegenwart angesiedelte MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE ist auch eine Emanzipationsgeschichte, aber ein bedeutend sanfterer Film. Die „glückliche“ Familie ist nicht direkt böse, eher latent grenzverletzend und vor allem sehr sehr laut. Manana dagegen – von Ia Shugliashvili mit ruhiger Intensität gespielt – ist eine sehr private Person, für die Stille eigentlich überlebenswichtig ist, die aber noch nie ihrem bisherigen Leben, die Möglichkeit hatte, einen ruhigen Ort für sich zu haben.
 
MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE erzählt von einer Gesellschaft, in der für Introspektion und für tatsächliche Begegnungen kein Platz ist, und davon, wie sich die Dinge ändern, wenn man die Kraft, den Mut und die Beharrlichkeit hat, sich den dafür nötigen Raum – physisch und psychisch - zu schaffen.
 
Hendrike Bake