Meinen Hass bekommt ihr nicht

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Kein Film über Terror, sondern einer über Trauer ist Kilian Riedhofs „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, der beschreibt, wie ein Mann, dessen Frau beim Anschlag auf den Pariser Nachtclub Bataclan ums Leben kam, lernt, mit dem Schmerz umzugehen. Weniger ein narrativer Film, als die Beschreibung eines emotionalen Zustandes, lebt das Drama ganz erheblich von seinen Darstellern.

Meinen Hass bekommt ihr nicht (Vous n’aurez pas ma haine)
Deutschland/ Frankreich/ Belgien 2022
Regie: Kilian Riedhof
Buch: Kilian Riedhof, Jan Braren, Marc Bloebaum, Stephanie Kalfon, nach dem Buch von Antoine Leiris
Darsteller: Pierre Deladonchamps, Zoe Iorio, Camelia Jordana, Thomas Mustin, Christelle Cornil, Anne Azoulay, Farida Rahouadj, Yannick Choirat

Länge: 102 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 10. November 2022

FILMKRITIK:

Lange bleibt die Kamera auf der Tür, die Hélène (Camelia Jordana) gerade hinter sich verschlossen hat. Während der Zuschauer es schon weiß, ahnt ihr Mann Antoine (Pierre Deladonchamps) noch nicht, dass er seine Frau nie wieder sehen wird, dass er sich bald allein um den gemeinsamen Sohn Melvin (Zoe Iorio) kümmern muss.

Es ist der Abend des 13. November 2015, in wenigen Stunden werden zahlreiche Anschläge die französische Hauptstadt erschüttern, werden islamistische Terroristen 130 Menschen ermorden, die meisten davon im Nachtclub Bataclan, in den Hélène an diesem unglückseligen Abend geht.

Als Antoine später am Abend eine erste SMS mit der Frage bekommt, ob es ihm gutgeht, denkt er sich noch nichts dabei, aber eine zweite, eine dritte, die im Sekundentakt das Handy zum piepen bringen, rütteln ihn auf. Doch Gewissheit wird er erst viel später haben, das Chaos in der Stadt, den Krankenhäusern, verzögert die schreckliche Nachricht.

Diese Momente der Ungewissheit zählen zu den stärksten in Kilian Riedhofs „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, das ambitionierte Unterfangen, einen Blogeintrag (dem bald ein knappes Buch folgte) in einen abendfüllenden Spielfilm zu verwandeln. Ein paar Tage nach dem Anschlag, als Antoine Leiris, ein französischer Journalist, mit Wut und Trauer kämpfte, schrieb er auf facebook den Blogeintrag, der binnen kürzester Zeit zehntausendfach geteilt wurde. Schnell wurde Leiris zur Stimme der Überlebenden stilisiert, gab Interviews und trat im Fernsehen auf – während er gleichzeitig dazu gezwungen war, sein Leben weiterzuführen. Was vor allem bedeutete, sich um den kleinen Sohn Melvin zu kümmern, der noch nicht begreifen konnte, dass seine Mutter nie wieder zu ihm kommen würde.

Zwischen öffentlichen Auftritten, in denen er die Erlebnisse abstrahieren kann und dem kaum auszuhaltenden Alltag, in dem ihm in jedem Moment etwas anderes an seine Frau erinnert, bewegt sich Leiris, hervorragend verkörpert von Pierre Deladonchamps. Noch überraschender ist allerdings, wie Zoe Iorio, die bei den Dreharbeiten drei Jahre alt war, Melvin spielt, falls man bei einer dreijährigen von bewusstem Spielen sprechen kann. So oder so ist dieses Duo das emotionale Herz eines Films, dem es auch gelingt, über die Fallstricke des Ansatzes hinwegzusehen. Denn eine klassische Geschichte, die von greifbaren, äußeren Zielen angetrieben wird gibt es hier nicht. Statt dessen könnte man „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ als Verfilmung der Stufen der Trauer bezeichnen, in denen ein Mann langsam lernt, dass auch nach dem Verlust seiner geliebten Frau das Leben weiter geht, weiter gehen muss. Nicht nur um seiner selbst willen, sondern des gemeinsamen Kindes wegen. Besseres kann man dem willkürlichen Terror schließlich nicht entgegenstellen, als weiterzuleben und sich nicht unterkriegen zu lassen.

 

Michael Meyns